In Liebe verführt
Dringendes zu erledigen hat, wirkst du erstaunlich ruhig in dieser Windstille«, stellte sie fest. »Dadurch ist jetzt schon ein ganzer Tag verloren gegangen. Und wenn wir heute Abend nicht in den Hafen einlaufen, dann zusätzlich noch eine ganze Nacht.«
Er lächelte und zuckte leichthin die Schultern. »Ich bin Seemann, Meg. Ich weiß, dass ich am Wind nichts ändern kann. Er wird mir dienen, wenn er es will, und nur dann. Ich erwarte diesen Zeitpunkt mit Geduld.«
Wieder einmal spürte sie es – das Gefühl, dass unter seiner lässigen Fassade weitaus mehr verborgen lag, als er offenbaren wollte. Zu der Härte, die sie schon gesehen hatte, gehörte dort auch noch eine große Ruhe. Was sonst noch? Kraft und Entschlossenheit, davon war sie überzeugt. Cosimo war kein gelangweilter Freizeitschiffer.
»Warum segelst du ein Kriegsschiff?«, fragte sie plötzlich. »Du gehörst doch nicht zur Marine.«
»Nein«, sagte er. »Nicht direkt.«
»Aha.« Meg setzte sich gerade hin und kreuzte die Beine unter sich. »Ein Nein, das kein Nein ist. Solche Antworten finde ich sehr interessant.«
Er nickte. »Ja, das kann ich verstehen.«
»Aber mehr wirst du mir nicht sagen?«
Diesmal schüttelte er den Kopf. »Nein.«
Meg schluckte diese Antwort und fixierte ihn interessiert. Was immer auch seine Mission sein mochte, sie hatte etwas mit dem Krieg zu tun. »Sind die anderen Kriegsschiffe zusammen mit der Mary Rose aus Folkstone ausgelaufen?«
Das Glitzern in seinem Blick verstärkte sich. »Die waren dir also aufgefallen.«
»Man konnte sie kaum übersehen.« Sie drehte sich um, lugte zwischen den Seilen der Reling hinaus, stand dann auf und betrachtete den Horizont. »Hier sind sie zumindest nicht.«
»Sie sind genau demselben Schicksal unterworfen wie wir«, sagte er, stand auf und stellte sich neben sie. »Der Wind bevorzugt niemanden.« Er ging hinüber zum Steuerrad und griff nach einem Teleskop. »Hier, Miss Meg, sieh dir deine Umgebung genau an.«
»Es wäre mir lieber, wenn du mich nicht so nennen würdest«, wies sie ihn schnippisch zurecht und griff nach dem Fernrohr. »Sonst fühle ich mich wie ein Gouvernante.«
Er lachte. »O nein, Meg, du nicht. Keine Gouvernante hätte je derart wilde Locken und eine derart scharfe Zunge.«
»Dazu kann ich nichts sagen, denn ich hatte nie eine«, sagte sie und hob das Fernrohr ans Auge. »Zumindest nicht nach meinem fünften Lebensjahr.«
»Also warst du in einer Einrichtung… einer Schule für junge Damen«, sagte Cosimo.
Meg senkte das Fernrohr. »Zeichnen, Erdkunde, ein wenig Pianoforte, ein wenig Italienisch, ein kleines bisschen Französisch?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, ich hatte nach meinem fünften Lebensjahr keine Gouvernante und wurde auch nie in irgendeiner nennenswerten Schule dieser Art unterrichtet.«
Cosimo war verdutzt. Er verstand so viel wie gar nichts von der Ausbildung junger Mädchen, aber Mädchen in der gesellschaftlichen Stellung von Meg Barratt – oder zumindest dem, was er aufgrund ihres Verhaltens für ihre gesellschaftliche Stellung halten musste – durchliefen normalerweise gewisse Lehranstalten. »Du hast nach deinem fünften Jahr keine weitere Ausbildung bekommen?«
»Wir hatten Hauslehrer«, erklärte sie ungeduldig und betrachtete den Horizont. »Natürlich haben wir eine Ausbildung bekommen.«
» Wir ?«
»Meine Freundin Arabella und ich. Wir sind wie Schwestern aufgewachsen.« Sie senkte das Fernrohr wieder und wandte sich zu ihm um. »Ich habe eine Familie, Cosimo. Einen Vater und eine Mutter… dazu noch Bela und Jack, die bestimmt verzweifelt sind über mein Verschwinden. Kannst du nicht verstehen, wie ich mich fühle?… Wie sie sich fühlen müssen?« Sie starrte ihn an mit einem grünen Blick, in dem er für einen Moment Abscheu erkannte – und einen Schimmer von Tränen.
Er atmete tief durch. »Bis wir wieder an Land sind, kann ich daran nichts ändern. Das musst du leider verstehen.« Er deutete auf das Meer, den Himmel, den leeren Horizont.
»Natürlich kannst du das in diesem Augenblick nicht«, sagte sie, und die Tränen waren verschwunden. »Aber als du bemerktest, was geschehen war, da hättest du es tun können. Und das kannst du nachholen, sobald wir in Sark gelandet sind. Es muss dort irgendjemanden geben… irgendein Fischerboot, das mich zurückbringen kann.«
Cosimo hatte Megs Lage nicht einfach ignoriert, aber er hatte sie nicht weiter beachtet. Er hatte konzentriert seine Pläne
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