In Liebe verführt
Ärmelkanal und die französische Küste. Ein paar Notizen waren auf einem Stück Papier neben den Karten vermerkt, aber was das bedeutete, konnte sie nicht verstehen. Wahrscheinlich hatte er die Wahrheit gesagt, was ihr Ziel, die Insel Sark, betraf. Doch was konnte ein Kriegsschiff auf so einem winzigen, unbedeutenden Inselchen zu tun haben?
Jetzt wollte Meg noch mehr erfahren, und sie begann, den Rest der Kajüte zu erforschen. Sie sah sich die Bücher auf den Regalen an. Die meisten waren Bücher über Seefahrt und ihre Geschichte, aber überraschenderweise gab es auch ein paar über Vogelkunde. Der Kapitän der Mary Rose interessierte sich offensichtlich für Vögel. Dass er nicht viel für Belletristik übrig hatte, wunderte sie nicht weiter. Allerdings fand sie es erstaunlich, dass es ein lateinisches Wörterbuch gab, denn er besaß offensichtlich keine anderen klassischen Texte, für die er es gebraucht hätte. Ansonsten stand da noch eine Bibel und eine Ausgabe von Samuel Johnsons englischem Wörterbuch. Sie nahm es aus dem Regal und blätterte darin. Neben manchen Einträgen waren hier und da seltsame kleine Notizen verzeichnet.
Ein lautes Klopfen an der Tür ließ sie schuldbewusst zusammenfahren. Das war Cosimos Klopfen, sie erkannte den typischen Rhythmus. Sie schob das Buch zurück ins Regal und ging hinüber, um die Tür zu öffnen. Irgendwie hatte sie das Gefühl von mehr Privatsphäre, wenn sie die Tür selbst aufmachte.
»Ich hoffe, dein Essen hat dir geschmeckt«, sagte er, als er an ihr vorüber in die Kajüte ging.
»Ja, vielen Dank«, antwortete sie ebenso förmlich.
»Bitte entschuldige mich, ich möchte ein frisches Hemd anziehen.« Er öffnete eine der Schubladen in der Seitenwand und begann, sie durchzusehen. Meg setzte sich wieder auf die Bank unter dem Fenster und nahm das Buch zur Hand.
Gus, der während der letzten halben Stunde ausgesehen hatte, als schlafe er, zog den Kopf unter dem Flügel hervor und flog auf seine Stange. »Gut’n Tag«, knarzte er, und Meg wandte ihre Aufmerksamkeit angestrengt ihrem Buch zu. Sie versuchte, nicht auf den Mann zu achten, der in aller Ruhe damit beschäftigt war, sich mitten in der Kajüte bis zur Taille auszuziehen.
Das gelang ihr allerdings nicht so ganz. Ihr Blick entfernte sich ungebeten von den Buchstaben. Der Mann hatte ihr den Rücken zugewandt, als er sich das Hemd über den Kopf zog. Ein langer, muskulöser Rücken, ein sachter Schimmer von dunklen Härchen in der Nähe der Wirbelsäule. Schlanke Taille.
Nein, das war keine gute Idee. Sie zwang ihre Augen erneut in das Buch. Arabella hatte einmal festgestellt, dass Megs Haltung Männern gegenüber eher männlich wirkte. Sie betrachtete sie in ähnlicher Weise wie Männer Frauen betrachten, indem sie nämlich zuerst ihre körperlichen Eigenschaften begutachtete. Meg musste zugeben, dass ihre Freundin damit nicht Unrecht gehabt hatte. Meg hatte damals ihre Jungfräulichkeit voller Begeisterung an einen venezianischen Gondoliere verloren, der Michelangelos David ähnlich sah, und neigte grundsätzlich dazu, nicht zu viel nachzudenken, sondern eher daran interessiert zu sein, dass ihre Lust befriedigt wurde. Doch das galt nur für Situationen, die sie unter Kontrolle hatte. Hier hatte sie zwar nicht direkt Angst vor irgendetwas, aber unter Kontrolle hatte sie nichts. Nur ihre eigenen Reaktionen. Sie blätterte mit lautem Knistern die Seite um.
»Biggins hätte das Wasser in den Krügen erneuern sollen«, maulte Cosimo hinter der Trennwand zur Toilette mit einem Ausdruck in der Stimme, als beklage er sich an einem regnerischen Nachmittag darüber, dass es keine Sonnenliegen gebe. Meg reagierte nicht darauf. Sie wollte gar nicht wissen, was er dort drinnen tat. Falls er die Absicht hatte, darauf hinzuweisen, dass sie diesen intimen kleinen Raum teilten, war ihm das allerdings gelungen.
Cosimo erschien wieder, damit beschäftigt, ein sauberes, weißes Hemd zuzuknöpfen. Er zog die Ärmel zurecht und knöpfte die Manschettenknöpfe zu. »Klingle nach Biggins, wenn du irgendetwas brauchst.«
»Was glaubst du, wann der Wind wieder auffrischt?«
»Bis zum Abend… Dann wird es allerdings zu spät sein, noch in den Hafen einzulaufen. Wir werden draußen vor dem Hafen warten müssen, bis es wieder hell wird.«
Meg erinnerte sich an die Felsbänke um die Insel herum, die auf der Seekarte zu erkennen waren. »Ist es zu gefährlich, um im Dunkeln dort zu navigieren?«
»Das ist hier an den
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