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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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hindurchführte, es sei ein Ölfleck, aber ich war es, die da aus dem Sack, den Mr. Harvey trug, gesickert und auf den Beton getropft war. Der Anfang meiner heimlichen Signale an die Welt.
    Es sollte einige Zeit dauern, ehe mir klar wurde, was Sie zweifellos bereits vermutet haben, dass ich nämlich nicht das erste Mädchen war, das er umbrachte. Er kannte sich aus mit dem Wegschaffen meiner Leiche aus dem Feld. Er kannte sich aus mit der Wetterbeobachtung und tötete stets während eines Übergangs von leichtem zu schwerem Niederschlag, um die Polizei etwaiger Hinweise zu berauben. Aber er war nicht so wählerisch, wie die Polizei gern glaubte. Er vergaß meinen Ellbogen, er benutzte einen Stoffsack für eine blutige Leiche, und falls jemand, irgendjemand, ihn gesehen hätte, hätte er es vielleicht merkwürdig gefunden, dass ihr Nachbar eine Grundstücksgrenze entlangging, wo es sehr eng war, selbst für Kinder, die gern so taten, als wären die ineinander wuchernden Hecken ein Versteck.
    Als er seinen Körper mit dem heißen Wasser seines vorstädtischen Badezimmers abschrubbte - das denselben Grundriss hatte wie dasjenige, das Lindsey, Buckley und ich uns teilten -, waren seine Bewegungen gemächlich, nicht nervös. Er spürte, wie ihn Ruhe überflutete. Er ließ die Lichter im Bad aus und fühlte, wie das warme Wasser mich wegwusch, und er dachte in dem Moment auch an mich. An meinen gedämpften Schrei in seinem Ohr. An meinen köstlichen Todesseufzer. An das prächtige weiße Fleisch, das nie die Sonne erblickt hatte, wie das eines Säuglings, und dann so makellos von der Klinge seines Messers aufgeschlitzt wurde. Er zitterte trotz der Hitze, ein kribbelnder Genuss, der ihm eine Gänsehaut über Arme und Beine jagte. Er hatte mich in den gewachsten Stoffsack gesteckt und die Rasierkrem und den Rasierer von dem Bord aus Lehm, sein Buch mit den Sonetten und schließlich das blutige Messer mit hineingeworfen. Sie lagen verstreut zwischen meinen Knien, Fingern und Zehen, aber er merkte sich vor, sie herauszuholen, ehe mein Blut später nachts zu klebrig wurde. Wenigstens die Sonette und das Messer wollte er behalten.
    Bei der Abendandacht waren alle möglichen Hunde. Und manche von ihnen, diejenigen, die ich am liebsten mochte, hoben den Kopf, wenn sie in der Luft einen interessanten Duft erschnupperten. Wenn er intensiv genug war, wenn sie ihn sofort identifizieren konnten oder wenn sie, was der Fall sein mochte, genau wussten, woher er stammte - ihr Gehirn signalisierte: »Hackfleisch, lecker« -, spürten sie ihm nach, bis sie das Objekt selbst fanden. Angesichts des realen Gegenstands, der Sache an sich, beschlossen sie dann, was zu tun sei. So gingen sie vor. Sie versagten sich ihr Verlangen nach Wissen nicht, weil der Geruch schlecht oder das Objekt gefährlich war. Sie jagten. Dasselbe tat ich.
    Mr. Harvey brachte den gewachsten orangegelben Sack mit meinen Überresten zu einem Schlundloch acht Meilen von unserem Viertel entfernt, einer Gegend, die bis vor kurzem bis auf die Eisenbahngleise und eine nahe gelegene Motorradwerkstatt verlassen gewesen war. In seinem Auto dudelte ein Radiosender, der im Monat Dezember ständig Weihnachtslieder wiederholte. Er pfiff in seinem großen Kombi und gratulierte sich selbst, fühlte sich gesättigt. Warmer, gedeckter Apfelkuchen, Cheeseburger, Eiskrem, Kaffee. Satt. Inzwischen wurde er immer besser, weil er nie nach demselben Muster handelte, das ihn langweilen würde, sondern aus jedem Mord eine Überraschung für sich selbst, ein Geschenk an sich selbst machte.
    Die Luft in dem Kombi war kalt und fragil. Ich konnte die Feuchtigkeit sehen, wenn er ausatmete, und das weckte den Wunsch in mir, meine eigenen versteinerten Lungen zu spüren.
    Er fuhr den grashalmschmalen Weg entlang, der zwischen zwei neuen Industrieanlagen hindurchführte. Der Wagen schleuderte, als er aus einem besonders tiefen Schlagloch herauskam, und der Safe, der den Sack enthielt, der meine Leiche enthielt, krachte gegen die innere Abdeckung des Hinterrades, sodass das Plastik splitterte. »Verdammt«, sagte Mr. Harvey. Doch er nahm ohne Zögern sein Pfeifen wieder auf.
    Mir fiel ein, wie ich denselben Weg entlanggefahren war, auf einem unerlaubten Ausflug von zu Hause mit meinem Vater am Lenkrad und Buckley an mich geschmiegt - ein Sicherheitsgurt reichte für uns beide.
    Mein Vater hatte gefragt, ob eins von uns Kindern zuschauen wolle, wie ein Kühlschrank verschwindet.
    »Die Erde wird ihn

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