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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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hatte meine Mutter im Flur neben der Statue des heiligen Franz von Assisi gesessen, die sie gekauft hatten. Sie war fort, als er zurückkam. Er rief nach ihr, sagte ihren Namen dreimal, sprach ihn aus wie einen Wunsch, der nicht erfüllt wurde, und dann stieg er die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf, um sich in einem kleinen Heft mit Spiralbindung Dinge zu notieren: »Alkoholiker? Mach ihn betrunken. Vielleicht redet er dann.« Er schrieb folgenden Text: »Ich glaube, Susie beobachtet mich.« Ich war ekstatisch im Himmel. Ich umarmte Holly, ich umarmte Franny. Mein Vater wusste Bescheid, dachte ich.
    Dann knallte Lindsey die Haustür lauter zu als sonst, und mein Vater war froh über den Lärm. Er hatte Angst davor, mit seinen Notizen fortzufahren, die Wörter niederzuschreiben. Die zuknallende Tür ließ den seltsamen Nachmittag verklingen, den er zugebracht hatte, und holte ihn in die Gegenwart zurück, in die Aktivität, die er brauchte, damit er nicht unterging. Ich verstand das - was nicht heißt, dass es mich nicht ärgerte, dass es mich nicht daran erinnerte, wie ich am Abendbrottisch gesessen und Lindsey zugehört hatte, die meinen Eltern erzählte, wie gut sie bei einer Klassenarbeit abgeschnitten hatte oder dass die Geschichtslehrerin sie für eine Auszeichnung auf Bezirksebene vorschlagen wollte, aber Lindsey lebte, und auch die Lebenden verdienten Aufmerksamkeit.
    Sie trampelte die Stufen hoch. Ihre Clogs krachten gegen die Kiefernholzbretter der Treppe und ließen das Haus erzittern.
    Vielleicht missgönnte ich ihr die Zuwendung meines Vaters, doch ich hatte Respekt davor, wie sie die Situation handhabte. Von allen in der Familie war es Lindsey, die sich mit dem herumschlagen musste, was Holly das Wandelnde-Tote-Syndrom nannte - wenn andere Menschen die tote Person sehen und nicht dich.
    Wenn die Leute, selbst mein Vater und meine Mutter, Lindsey ansahen, erblickten sie mich. Sogar Lindsey war nicht immun dagegen. Sie mied Spiegel. Sie duschte inzwischen im Dunkeln.
    Danach verließ sie die dunkle Dusche und tastete sich zum Handtuchhalter vor. Im Dunkeln war sie sicher - der feuchte Dampf aus der Dusche, der noch von den Fliesen aufstieg, hüllte sie ein. Wenn es still war im Haus oder sie von unten Gemurmel hörte, wusste sie, dass sie ungestört sein würde. Dann konnte sie an mich denken, und das tat sie in zwei Varianten: entweder dachte sie
Susie
, nur das eine Wort, und weinte dabei, ließ die Tränen ihre bereits feuchten Wangen hinabrollen, da sie wusste, keiner würde sie sehen, keiner würde diese gefährliche Substanz als Kummer werten, oder sie stellte sich vor, wie ich wegrannte, stellte sich vor, dass ich entkam, stellte sich vor, dass stattdessen sie festgehalten wurde und sich zur Wehr setzte, bis sie frei war. Sie kämpfte gegen die ständige Frage an
Wo ist Susie jetzt?
    Mein Vater hörte Lindsey in ihrem Zimmer. Rumms, wurde die Tür zugeschlagen. Plumps, wurden die Bücher hingeworfen. Quietsch, fiel sie aufs Bett. Bumm, bumm, landeten ihre Clogs auf dem Fußboden. Ein paar Minuten später stand er vor ihrer Tür.
    »Lindsey«, sagte er beim Anklopfen.
    Keine Reaktion.
    »Lindsey, darf ich reinkommen?«
    »Geh weg«, war ihre resolute Antwort.
    »Ach, Schatz«, flehte er.
    »Geh weg!«
    »Lindsey«, sagte mein Vater und sog den Atem ein, »warum willst du mich nicht reinlassen?« Er legte seine Stirn behutsam an die Tür. Das Holz fühlte sich kühl an, und einen Augenblick lang vergaß er das Pochen in seinen Schläfen, den Verdacht, den er mittlerweile hegte und der sich in den Worten
Harvey, Harvey, Harvey
wiederholte.
    Auf Socken kam Lindsey leise an die Tür. Sie schloss sie auf, während mein Vater eine Miene aufsetzte, die, wie er hoffte, »Lauf nicht weg« ausdrückte.
    »Was ist?«, fragte sie. Ihr Gesicht war streng, ein Affront. »Was gibt's?«
    »Ich will wissen, wie es dir geht«, sagte er. Er dachte an den Vorhang, der zwischen ihm und Mr. Harvey gefallen, dass eine sichere Beute, das herrliche Abschieben von Verantwortung, ihm nicht vergönnt gewesen war. Die Mitglieder seiner Familie liefen weiter durch die Straßen, gingen zur Schule und kamen auf ihrem Weg an Mr. Harveys grünem Schindelhaus vorbei. Damit wieder Blut in sein Herz strömte, brauchte er sein Kind.
    »Ich möchte allein sein«, sagte Lindsey. »Ist das nicht offensichtlich?«
    »Ich bin da, wenn du mich brauchst«, sagte er.
    »Hör mal, Dad«, sagte meine Schwester, ihr einziges Zugeständnis an

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