In meinem kleinen Land
elf dieses entzückenden Hotels eingefunden, um über die neuesten Antimückenmittel zu kichern und die Weltherrschaft zu diskutieren. Und ich bin das warme Büfett.
Ich schlage wild um mich, stelle mich fuchtelnd aufs Bett, suche systematisch das Zimmer ab, Ecke für Ecke. Und das Zimmer hat viele Ecken, schließlich handelt es sich um ein historisches Fachwerkhaus. Nachdem der Mückengenozid vollbracht ist und das Zucken ein Ende hat, lege ich mich hin und ziehe mir die Decke über den Kopf. Der Kongress endete in einem Blutbad. Das Büfett erhob sich von der Tafel und erschlug jeden Festgast sowie weitere Kerbtiere, die ihm auf die Nüsse gingen. So macht man sich in der Fauna natürlich keine Freunde.
Hamburg. Einblick in den SPIEGEL
23. September 2005
In Hamburg werde ich vom Zug abgeholt und zum SPIEGEL gefahren, wo ich im Ressort des Kultur-SPIEGEL eine Heftkritik machen soll. Die meisten Zeitungen und Zeitschriften pflegen dieses Forum der Selbstgeißelung. Nur wenige Redaktionen halten diese Institution für die Zeitverschwendung, die sie tatsächlich ist.
Es handelt sich bei der Heftkritik (manchmal auch: «Blattkritik») um eine wegen ihres Unterhaltungswertes stets gutbesuchte Konferenz, bei der ein Angehöriger der Redaktion seine Meinung zur aktuellen Ausgabe ausführlich darlegen darf. Er mäkelt dann an Schriftgrößen, Themen, der Qualität der Texte, den einfallslosen Bildunterschriften und der Linie der Chefredaktion herum, was zwar unmittelbar folgenlos bleibt, aber keine spontanen Gehaltserhöhungen nach sich zieht, in manchen Häusern einige Tage später allenfalls ein für beide Seiten unerquickliches Personalgespräch. Auch aus diesem Grund werden Heftkritiken häufig an überforderte und mit Angstflechte überzogene Praktikanten delegiert. Oder an Gäste. Denen gegenüber kann man jeden angesprochenen Missstand mit irgendwelchen undurchschaubaren Produktionsbedingungen begründen.
Der SPIEGEL ist für Journalisten ein Traum. Zunächst einmal arbeiten sie in einer Firma, die immer in Großbuchstaben geschrieben wird. Das ist schon einmal was fürs Selbstbewusstsein. Und sie dürfen sorglos lücken- oder sogar fehlerhafte Texte abgeben. Diese Info-Fragmente werden von in einem feuchten Stollen lebenden Kollegen aus der sogenannten «Dokumentation» um die notwendigen Fakten ergänzt. Sehr angenehm, beim SPIEGEL zu arbeiten. Redakteure können sich jederzeit Kaffee und ein Mettbrötchen an den Arbeitsplatz bestellen. Nummer wählen (Durchwahl -24 44), zack, paar Minuten später ist der Kaffee da und wird samt Mettbrötchen am Ende des Monats vom Gehalt abgezogen.
Wenn man im SPIEGEL eine Konferenz abhalten will, brüllt man auch nicht etwa «Konferenz» in den Flur, und dann kommen die Kollegen angebummelt oder verstecken sich unter ihren Tischen. Nein, man reserviert über eine Sekretärin bei der «allgemeinen Verwaltung». (Durchwahl -2518) einen Besprechungsraum, der von unsichtbaren, womöglich ehemals investigativen Servicekräften vorbereitet wird. Teilnehmer der Konferenz «11 Uhr Kultur-SPIEGEL» können einem Bildschirm auf dem Flur entnehmen, in welchem Raum (Nummer zwei) sie tagen, damit sie nicht auf der Suche nach den Kollegen versehentlich in eine geheime Strategiebesprechung zur Wiederbeschaffung des Bernsteinzimmers platzen und füsiliert werden.
In den klimatisierten Konferenzzimmern stehen Kekse bereit. Es gibt im SPIEGEL Sommerkekse und Winterkekse. Die Sommerkekse («Bahlsen Summertime») haben keinen Schokoüberzug, damit man sich nicht das Brooks-Brothers-Hemd versaut. Es stehen zudem Kaffee, Säfte, eine Vielzahl von Teesorten und kleine Wasserfläschchen bereit. Die SPIEGEL-Redakteure halten sich beim Konsum aber zurück. Luxus besteht für sie darin, AUF KEINEN FALL etwas zu trinken, gerade weil sie dies jederzeit tun KÖNNTEN, wenn ihnen danach WÄRE. Außerdem ist Saftschorle-Trinken in der Konferenz ein Genuss, und Genuss ist Schwäche, und Schwäche gehört sich nicht beim Sturmgeschütz der Demokratie. «Das ist Hamburg», erklärt mir später ein Freund. Na, dann ess ich halt die Kekse ganz alleine auf.
Es gibt gute und weniger gute Heftkritiker, und es gibt gewaltige Nervensägen. Ich bin so eine, denn ich habe auf der gestrigen Zugfahrt jede Menge Zeit zur Vorbereitung gehabt. Mein Vortrag fällt also eher lang aus. Und länger. Und noch länger. Kurz bevor meinen Zuhörern das Kinn auf die Brust fällt, bin ich fertig und werde zur Belohnung in die
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