In meinem kleinen Land
Dingen und können gerade nicht höflich sein. Das kann einem überall passieren, nicht nur in Deutschland.
Einmal habe ich in einem IC eine Fahrkarte für den Nahverkehr dabeigehabt. Der Schaffner hat keinen Zuschlag von mir verlangt. Wissen Sie, wieso? Weil die Heizung im Zug nicht funktionierte. In Rostock haben sie extra für mich die Küche wieder aufgemacht, als ich spätabends zurück ins Hotel kam. Eine Taxifahrerin aus Ennepetal hat mich an einem Schneesamstag, als überall das Licht ausging, durchs Chaos gefahren, obwohl man sie woanders noch viel dringender gebraucht hätte.
Übrigens: Es gibt womöglich eine deutsche Mentalität, aber kaum eine regionale. Die Menschen lachen überall an den gleichen Stellen. Es gibt keine sturen Westfalen oder exaltierten Rheinländer oder schwierig zu erobernde Norddeutsche oder dankbare Thüringer. Alles Unsinn. Manchmal lachen die Zuschauer lauter, manchmal leiser, manchmal gibt es Szenenapplaus, manchmal nicht.
Könnten Sie einhundert deutsche Städte aus dem Kopf aufzählen? Ich hätte es nicht gekonnt. Dabei hat unser kleines Land sogar noch viel mehr. Ich habe jedenfalls einhundert gesehen, und die allermeisten haben mir gefallen. Und noch viel mehr als die Städte haben mir die Menschen gefallen, also die Deutschen. Man traut es sich beinahe nicht zu formulieren, aber im Großen und Ganzen haben wir es nicht schlecht getroffen.
Dass dieser Befund so schwerfällt, hat mit meiner Generation zu tun. Wir sind kritisch aufgewachsen: konsumkritisch, religionskritisch, politkritisch, kulturkritisch. Unser Land zu mögen finden wir nationalistisch, unsere Sprache peinlich, den Deutschen an sich unerträglich, besonders im Urlaub. Das ist auch sehr ehrenwert, führt aber zu keiner sonderlich tiefen Identifikation mit unserem Land. Ging mir auch so. Aber es hat sich geändert.
Ob ich etwa nach dieser Reise durch mein Land so etwas wie ein Patriot bin? Nein. Aber mir gefällt es hier. Ich bin ganz und gar nicht stolz darauf, Deutscher zu sein, aber ich bin es gerne, weil mein Land friedlich ist und schön und weil ich die Deutschen mag, nachdem ich ziemlich viele von ihnen getroffen habe.
Die meisten Texte in diesem Buch erschienen zunächst als Weblog im Online-Angebot der ZEIT. Sie wurden anschließend für dieses Buch umgeschrieben und gekürzt. Viel Spaß damit.
Jan Weiler, November 2006
Düsseldorf. Wo denn sonst?
12. September 2005
Am Anfang zufällig in Düsseldorf. Das ist schon etwas Besonderes. Es hätte auch Karlsruhe oder Jena sein können. Aber da bin ich nicht geboren, sondern eben in Düsseldorf, der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen. Auch so eine Sache, die sie in Köln nicht haben verwinden können, denn Köln ist größer. Dafür ist Düsseldorf schöner, schön geworden in den vergangenen zehn Jahren. Schön und nahezu schuldenfrei, wie man hört, sobald man das Flugzeug verlassen und Düsseldorfer Boden betreten hat. «Mir geht’s super», brüllt einen diese Stadt an.
Düsseldorf hat sich tatsächlich erstaunlich herausgemendelt aus seiner Existenz als sogenannter Schreibtisch des Ruhrgebietes. So nannten die Erwachsenen Düsseldorf, als ich ein Kind war. Man sagte damals, dass im Ruhrgebiet geschuftet und in Düsseldorf verwaltet würde. Düsseldorf, das waren schwere Büromöbel, der Geruch nach Zigarren und der quecksilbrige Rhein, dem man als normal intelligenter Mensch nie zu nahe kam. Darin zu baden hätte bedeutet, in Minutenfrist von Säuren, Laugen, Schwermetallen und scharfem Unrat skelettiert zu werden.
Immerhin war der geschundene Fluss wunderschön anzusehen. Im Sommer konnte er bis zur Fahrrinne austrocknen. Dann entdeckte man vom Ufer aus Plunder, der zu anderen Zeiten hineingeraten war. Im Frühjahr hingegen schwoll der Rhein auf eine beängstigende Breite an, setzte die Schrebergärten von Oberkassel und Lörick unter Wasser, drohte sogar schwappend an den Wiesen leckend den Dämmen und verzog sich doch, ohne großen Schaden anzurichten, nach Holland.
Ich wurde im Stadtteil Flingern geboren, in einem Krankenhaus in der Flurstraße, in dem heute keine Kinder mehr auf die Welt kommen. Es werden jetzt alte Menschen dort behandelt, die unter Depressionen leiden. Das nennt man Geronto-Psychiatrie. Als ich klein war, kamen mir alte Leute viel älter vor als heute.
Der Umstand, dass mit dem Ruhrgebiet viel Industrie in der Nähe lag, mit dem Rhein ein wichtiger Verkehrsweg durch die Stadt führte und die ganze Gegend
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