In meinem kleinen Land
Entscheidung, wo ein Tatort spielen darf. Der WDR hatte auch schon Tatorte in Düsseldorf (aber nicht sehr lange), in Duisburg und in Essen. Nun also Münster. Vermutlich bekommt man dort günstig studentische Komparsen, und das Lokalkolorit wirkt nicht so ruhrpöttlerisch. Münster ist ja doch sehr ländlich. Also hat die Landesregierung höchstwahrscheinlich beim WDR angerufen und gesagt, die sollen gefälligst mal in Münster drehen, damit die Fernsehzuschauer nicht immer denken, im Sendegebiet des WDR hätten alle Menschen Kohlenstaub unter den Fingernägeln und kippten sich Dosenbier in den zahnlosen Schlund.
Am Bahnhof steht ein Parkhaus für die sechzehn Trilliarden Fahrräder, die es hier gibt. Münster ist wie Peking und Amsterdam eine Radlerstadt. Das ist erst einmal sympathisch. Komischerweise dann aber doch nicht, weil die Radfahrer aus ihrer demoskopischen Überlegenheit eine Art Herrenmenschentum ableiten wie andernorts die Autofahrer. Wenn ich bei einer Verletzung wählen könnte, ob ich sie durch den Aufprall eines Autos oder eines Radfahrers erleiden möchte, würde ich mich jederzeit für das Auto entscheiden. Denn dabei geschieht der Unfall mit der gesichtslosen Kälte des perlmutteffektlackierten Blechs, bei einem Fahrradaufprall hingegen bekommt man immer einen komplett verschwitzten Menschen ans Bein geschmettert, zum Beispiel in Gestalt einer Koptologie-Studentin im elften Semester, die nicht nur schuld, sondern auch noch dramatisch unterversichert ist. Da mir die Berührungen von Fremden unangenehm sind, möchte ich auf jeden Fall lieber in der Autostadt Wolfsburg als in der Fahrradstadt Münster angefahren werden.
Im Hotel hat das Management kleine Hinweise angebracht, um den Gast auf Linie zu bringen. Da klebt zum Beispiel am Fernseher der vergilbte Hinweis: «Nichts verstellen. Zimmerlautstärke!» Und unterhalb der Preistafel lese ich: «Es ist untersagt, im Bett zu rauchen!» Ich lege mich aufs Bett, mache die Glotze schön laut und rauche drei Zigaretten, obwohl eine völlig gereicht hätte. Später gehe ich spazieren.
«In Münster regnet es, oder es läuten die Glocken», heißt es, glaube ich. Das trifft aber nicht zu. Korrekt müsste der Satz lauten: «In Münster regnet es, UND es läuten die Glocken.» Davon gibt es viele nebst drum herumgebauten Kirchen. Ich gehe in Sankt Lamberti umher und wundere mich darüber, dass dieses Gotteshaus für einen Dom ja gar nicht soooo groß ist, bis ich bei meinem Spaziergang auch den eigentlichen Dom Sankt Paulus entdecke. Da wird mir klar, dass Sankt Lamberti für eine Kirche sehr groß ist.
Dann lasse ich mir die Haare schneiden. Von einer jungen Frau, die offenbar noch nie eine Schere in der Hand gehabt hat, außer zum Tesafilmabschneiden. In Ermangelung einer fundierten Ausbildung rasiert sie meinen Schädel mit einem Elektrorasierer. Eigentlich sollte man immer vorher fragen, wie die Haare abgemacht werden. Wenn da nicht korrekt mit der Schere gearbeitet wird, muss man gleich wieder gehen. Habe ich natürlich nicht gemacht, weil die Frau extrem hübsch ist. Himmelherrgott, sind Männer primitiv.
Danach renne ich geschoren wie ein russischer Rekrut durch die Münsteraner Fußgängerzone und suche einen WLAN-Hotspot. Quälerei. Bei Starbucks werde ich fündig. Dafür muss ich einen nach Storck-Durchbeißer schmeckenden Kaffee trinken. Ein Student am Nebentisch (Byzantinistik, drittes Semester, totaler Fan von Starbucks und Blumfeld) behauptet, Münster sei sogar viel größer als Düsseldorf, was ich für Blödsinn halte. Kann man ja in so einem internetfähigen Schuppen mal schnell googeln. Er hat recht! Tatsächlich ist Münster flächenmäßig die sechzehntgrößte Stadt Deutschlands. Düsseldorf steht auf Platz fünfundvierzig. Die größte Stadt unseres kleinen Landes ist übrigens erwartungsgemäß Berlin, gefolgt von Hamburg. Dann kommt aber nicht München (Platz dreizehn) und auch nicht Köln (Platz vier), sondern Wittstock/Dosse in Brandenburg. Ob ich ihm dafür einen ausgebe, fragt der Student. Super Trick. Wahrscheinlich macht er das den ganzen Tag. Studenten.
Gehe zu Karstadt, weil auch der inzwischen vierte Ohrhörer für meinen iPod nichts taugt. Ich muss einfach damit leben, dass meine Ohren nicht für diese Reinsteckdinger konstruiert sind. Ich bin ein old schooler, ich brauche Kopfhörer.
Abends Lesung in einem funkelnigelnagelneuen riesigen Geschäft. Als ich jung war, gab es nur kleine Buchhandlungen. Und dort gab
Weitere Kostenlose Bücher