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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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WELTBERÜHMTE Kantine des SPIEGEL zum Mittagessen eingeladen.
    Die SPIEGEL-Kantine wurde von dem dänischen Innenarchitekten und Designer Verner Panton entworfen. Man muss dort nicht an Stahlblechtrögen anstehen wie etwa bei der «Süddeutschen Zeitung». Nein, im SPIEGEL wird am Tisch bedient. Die Aussicht ist allerdings trostlos, denn die Kantine befindet sich im Erdgeschoss, und man blickt bloß auf eine hässliche Straße. Anschließend noch ein Käffchen in der Snackbar. Schon großartig, dieser SPIEGEL.

    Abends Lesung in einer großen Buchhandlung in Eppendorf oder Eimsbüttel. Ich kann das nie auseinanderhalten.

    Wochenende. Flug nach Hause. Auf dem Hamburger Flughafen habe ich einen Menschenschlag ausgemacht, auf den ich meinen kleinbürgerlichen Groll richten kann: Männer, die ihre Kleinkoffer durch die Hallen ziehen. Angeblich ist das Handgepäck. Quatsch. Diese Trolleys sind viel zu groß für Handgepäck. Die nehmen viel zu viel Platz weg im Flugzeug. Ein Fach muss für sechs Personen reichen, es passen aber niemals mehr als drei dieser rollenden Kackschachteln hinein. Außerdem haben Besitzer von Trolleys immer auch noch ein zweites Stück Handgepäck dabei. Immer! Dabei ist nur ein Stück erlaubt.
    Im Flugzeug wuchten Flanelldickärsche ihre Angeberkoffer derart grobmotorisch in die Ablage, dass meine Jacke verknittert oder meine Geschenke (Marzipan aus Lübeck!) zerstört werden. Oder sie passen nicht mehr hinein, wenn ich hinter so jemandem einsteige. Ich schleppe mich mit meinem Koffer und meiner Umhängetasche ab, und nach dieser zweiten Reisewoche bricht mir beinahe der rechte Arm ab. Große Schmerzen in der Schulter. So kann das nicht weitergehen.

    Samstagnachmittag bin ich wieder zu Hause. Ich erhalte ein kleines Geschenk, damit ich auf Reisen nicht immer so entsetzlich schleppen muss: einen wunderschönen silberfarbenen Trolley. So was von praktisch ist der! Wenn man den Griff ausfährt, kann man auch noch eine Umhängetasche darauf durch die Gegend fahren. Dann hat man sogar zwei Gepäckstücke auf Rollen! Hurra! Ich bin sprachlos vor Freude.

Osnabrück. Der Dalai-Lama fährt nicht mit dem Taxi
    26. September 2005
    Ich bin jetzt Zugmensch, mit allen Konsequenzen. Und ich lerne noch. Zum Beispiel, dass der Regionalverkehr der Bahn nicht mehr mit richtigen Zügen veranstaltet wird, sondern mit S-Bahn-artigen, meistens roten Spielzeugwaggons, die keinerlei Charme besitzen, aber in aller Regel pünktlich auftauchen, um Schüler, Pendler und Lesereisende aufzunehmen. Je teurer hingegen ein Ticket, desto unpünktlicher erscheint der Zug am Gleis. Es gilt die Regel: Intercity-Züge bestehen aus den vergammelten alten Waggons, die ich früher en miniature von Märklin besaß, und kommen immer zwischen zwei und sechs Minuten zu spät. Ein ICE, das Verkehrsmittel der Berliner Republik, verspätet sich niemals unter zehn Minuten, ist also auf seine Weise total zuverlässig.

    In Osnabrück war ich noch nie. Mein Schwiegervater Antonio schon. Osnabrück war seine erste Station in Deutschland. Er arbeitete in einem Karosseriewerk und half mit, sehr schöne Cabrios zu bauen, die man nur noch selten auf der Straße sieht. Ob es damals schon die Fußgängerzone gab, die ich hier durchquere? Möglicherweise schon, denn Fußgängerzonen kamen in den sechziger Jahren sehr in Mode.
    Die Stadt Kassel rühmt sich, die erste Fußgängerzone Deutschlands gebaut zu haben. Wenn ich mich richtig erinnere, feierte sie gerade ihren fünfzigsten Geburtstag (die Fußgängerzone, nicht die Stadt Kassel). In Kassel hatten sie nach dem Zweiten Weltkrieg jede Menge Platz für Stadtplanung, und dies hat für einigermaßen schreckliche Ergebnisse gesorgt. In Osnabrück hält sich das Grauen in Grenzen, eigentlich ist die Osnabrücker Fußgängerzone sogar vergleichsweise hübsch. Ich wette, dass sie irgendwann von Waschbetonkübeln mit dornigen Sträuchern und orangefarbenen Abfallbehältern befreit wurde. Jedenfalls laden viele Restaurants und Kneipen zum Kennenlernen der Osnabrücker Bevölkerung ein. Überall stehen Stühle draußen, und es sitzen sogar Menschen darauf. Es ist die Zeit im Jahr, da die Heizpilze den Sommer verlängern. Was wäre unser Land bloß ohne Heizpilze?

    Und ohne Studenten! Studenten sind für Städte furchtbar wichtig, denn sie bringen Leben, Crêpes und Fahrradständer ins Ortsbild. Osnabrück ist Universitätsstadt, wenn auch erst seit knapp dreißig Jahren. Und Bischofssitz, deshalb steht ein

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