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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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passabler Dom unweit des lustig sich durch die Gemeinde schlängelnden Flüsschens. Der Fluss heißt Hase, und zwar übrigens «die» Hase und nicht «der» Hase. Keine Ahnung, wo deutsche Flüsse ihr Geschlecht herbekommen. Warum ist der Rhein männlich und die Donau weiblich? Und warum erst die Hase? Osnabrück, du machst mir Spaß! Zu den großen Errungenschaften Osnabrücks gehört ein von dem weltberühmten Architekten Daniel Libeskind entworfenes Museum, das ohne rechten Winkel auskommt. Es wird dort das Werk des im Vergleich zum Architekten nicht ganz so berühmten Malers Felix Nussbaum gewürdigt. In einer einzigen Nacht hatten die Amerikaner 180   000 Bomben auf diese Stadt geworfen. Und sie ist immer noch da.
    Das Hotel trägt den für westfälische Verhältnisse ausgeflippten Namen «Walhalla», und der Dalai-Lama hat hier auch schon übernachtet. Ob der Dalai-Lama vielleicht in meinem Zimmer übernachtet hat, in meinem Bett? Ob er seinen rasierten heiligen Kopf auf dasselbe Kissen gelegt hat wie ich? Unvorstellbar! Oder? Ich kann nach der Lesung darüber nicht einschlafen und wache am Morgen aus unruhigen Träumen auf. Ob der Dalai-Lama auf dieser Toilette gesessen hat? Ob er überhaupt auf die Toilette geht? Und ob er da die «Westfälische Rundschau» liest? Jetzt ist aber Schluss! Der Dalai-Lama ist auch nur ein Mensch. Oder?

    Beim Frühstück schaue ich in den Wirtschaftsteil, was keine erbauliche Lektüre ist. Unser Land befindet sich in der Krise. Mir fällt eine Unterhaltung vom Wochenende ein. Wir waren zum Essen eingeladen, und mir gegenüber saß ein Mann, der in London bei einer Private-Equity-Firma arbeitete. Ich wusste natürlich nicht genau, was das war. Aber ich weiß auch nicht genau, wie ein Dampfkraftwerk funktioniert. Um es mir einfacher zu machen, seine Tätigkeit zu verstehen, sagte er nachsichtig: «Ich bin so ’ne Heuschrecke.» Einer von der Sorte, die einem erklären können, warum es in diesem Land nicht läuft und was alles nötig sei, um es auf Vordermann zu bringen, nämlich kollektiver Lohnverzicht, Massenentlassungen und Sozialabbau, denn ein Land wie dieses könne sich soziale Gesten nicht mehr leisten (Kultur auch nicht), es lebe weit über seine Verhältnisse. Und dass man ein Land führen müsse wie ein Unternehmen. Das Schockierende an seinen Ausführungen war keineswegs deren Drastik, sondern dass ich ihm so gut wie gar nichts entgegenzusetzen hatte.
    Dann sprachen wir über die Bundestagswahl und welche Art der Regierungskoalition für wen am Tisch am besten sei. Er plauderte in die heftige Diskussion hinein, dass die rotgrüne Regierung aus seiner Sicht ruhig hätte am Ruder bleiben können. «Und warum?», fragten wir ihn verdutzt. Er antwortete in ruhigem Ton: «Deutschland ist für uns zurzeit einfach wahnsinnig günstig zu haben.»
    Komische Vorstellung, dass es Unternehmen gibt, die im Ausland andere Unternehmen erwerben, als spazierten sie durch einen Supermarkt und kauften fürs Wochenende ein. Und was ich nie geglaubt hätte: Unser Land ist so etwas wie Lidl.

Münster. Tatortstadt
    27. September 2005
    Was mir ja doch zu schaffen macht in diesen Tagen, ist die Tatsache, dass wir immer noch keinen Kanzler haben und auch keine Kanzlerin. Die Wahl ist nun schon eine Weile her, aber noch ist Angela Merkel nicht ins Kanzleramt eingezogen. Das liegt vor allem daran, dass Schröder nicht ausziehen will. Eine Genugtuung bleibt ihm. Frau Merkel wird das Büro nicht so umgestalten können, wie sie will, denn zumindest Schröders Schreibtisch ist so groß und schwer und zudem im Boden verankert, dass man ihn niemals wird entfernen können. Wenn ich er wäre, würde ich mit dem Taschenmesser auf der Unterseite «Das ist mein Tisch. G. S.» einritzen.

    Heute Münster. Nach welchen Kriterien werden eigentlich die Städte ausgewählt, in denen der Tatort spielt? Nach Bedeutung, Größe, Flair, Schönheit? Man weiß es nicht. Münster ist zum Beispiel eine Tatortstadt. Der Westdeutsche Rundfunk dreht aber in Köln noch einen anderen Tatort, das ist wahrscheinlich Ehrensache. Köln ist ja total bedeutend und groß. Es gibt demnach zwei WDR-Tatorte, was die Sache kompliziert macht. Und hat nicht der NDR sogar drei Tatorte? Kiel, Hamburg und Hannover. Auch der SWR hat drei Teams, der Bayerische Rundfunk hingegen dreht nur in München. In Thüringen ermittelt überhaupt niemand, der MDR hat aber in Sachsen zwei Kommissare.
    Ich vermute mal, es ist eine sehr politische

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