In meinem kleinen Land
es ausschließlich Bücher zu kaufen. Das ist längst Vergangenheit. Inzwischen gibt es im Buchhandel auch Kaffee und Donuts und Rucksäcke und Korkenzieher und Radiergummis und DVDs und Kuschelkissen mit Prinzessin Lilifee drauf. Der Abend könnte mit Ausschweifungen enden. Aber das ergibt sich nicht. Ich lerne die Städte nur bei Tag kennen. Im Bett rauche ich noch eine Zigarette und denke über Popsongs im Orchestergewand nach. Das ist schlimm. Aber andererseits: Das Hauptthema von Bedrich Smetanas «Die Moldau» ist in Wahrheit auch bloß das von Dur nach Moll übersetzte Kinderlied «Alle meine Entchen». Mama und Papa ziehen sich fein an, buchen einen Babysitter und setzen sich ins Konzert, um dem Symphonieorchester dabei zuzuhören, wie es «Alle meine Entchen» spielt. Welch spaßspendender Gedanke, um darüber einzuschlafen.
Paderborn, born, born to be alive
28. September 2005
Wanderer, kommst du nach Paderborn, so stelle dich bitte darauf ein, dass du, wenn du die Schnellstraße unverletzt überquert hast, in einer Fußgängerzone landest, die genauso aussieht wie die von Krefeld.
Die deutsche Fußgängerzone deprimiert mich langsam. Und zwar nicht wegen ihrer austauschbaren Architektur, den Drahtsesseln zum Ausruhen, dem praktischen Pflaster mit seinen unaufregenden Mustern und der verzweifelt-konsumistischen Stimmung, die dort herrscht, sondern wegen der Geschäfte. Überall gibt es denselben Kram. Die Ladenflächen einer durchschnittlich großen deutschen Fußgängerzone sind fest in der Hand von: H & M, Zara, Bonita, Media Markt, Nordsee, Douglas, C & A, Christ, Saturn, Thalia, Tchibo, Beate Uhse, Club Bertelsmann, Nanu Nana, Manhattan, Bijou Brigitte, Esprit, Hussel sowie den regional dominierenden Bäckerei- und Metzgereiketten und Telefonläden. Es gibt natürlich auch etwas zu essen: Crêpes und Döner und McDonald’s und Käsekrainer und Burger King und zwei Eiscafés und drei thailändische Imbisse und paar olle Italiener. Neuerdings macht sich zusätzlich überall eine Stullenkette namens Subway breit. Das ist echt widerlich. Eigentlich gibt es in diesem Franchise-Folterkeller bloß belegte Brote, aber es stinkt dadrin wie in einer Tierhandlung. Überall, wo ich hinkomme, ist Subway.
Kaufhof und Karstadt gibt es ebenfalls in Paderborn. Der Karstadt fristet ein graues Schattendasein direkt hinter dem Kaufhof, der eine gute Auswahl an Kopfhörern führt. Ich bin immer noch auf der Suche. Ich möchte mir nicht so einen Kopfhörer kaufen müssen, wie mein Opa ihn hat, so ein riesiges Ding mit einer Kunstlederwurst, die die Ohren komplett umschließt. Er trägt die Dinger immer, wenn er «Die Fledermaus» hört. Wahrscheinlich wäre die Anschaffung sehr sinnvoll, aber wer kauft heute noch Sachen, die einen Sinn haben?
Ich absolviere meinen Stadtrundgang und besichtige den Dom. Paderborn hat einen sehr schönen Dom. Im Seitenschiff befindet sich ein Raum, in dem man sich die Dokumentation zum Wiederaufbau des Doms ansehen kann. Paderborn wurde im Krieg zu fünfundachtzig Prozent zerstört. Man fragt sich warum, denn so interessant ist Paderborn nun auch wieder nicht. Jedenfalls ein Drama. Wie schön unsere Städte wohl wären, wenn sie nicht vor sechzig Jahren von vorne hätten anfangen müssen? Kaum vorstellbar. Wahrscheinlich gäbe es dann auch keine wüsten Innenstädte mit trostlosen Fußgängerzonen und darin auch nicht diese Filialkultur. Man könnte sich beinahe zu der Behauptung versteigen, Hitler sei schuld an Subway.
Mein Hotel in Paderborn ist außergewöhnlich entzückend. Jedes Zimmer ist einem Maler gewidmet. Ich schlafe im Marc-Chagall-Zimmer. Wenn man aus dem Hotel tritt, kommt man an einer Straße vorbei, die «An der warmen Pader» heißt. Nun sollte man meinen, dass man in einer Stadt mit einem respektablen Dom eher an einer Straße vorbeikommen müsste, die «Am warmen Pater» heißt. Die Veranstalterin, die mich zur Lesung in der Aula des örtlichen Gymnasiums abholt, erläutert mir, dass die Pader der Fluss sei, an welchem Paderborn liege. Tatsächlich entspringt die Pader sogar in Paderborn, was den Namen der Stadt erklärt. Wer das nicht weiß, ist nicht unbedingt ungebildet, denn die Pader ist der kürzeste Fluss Deutschlands und bloß sieben Kilometer lang. Dann mündet sie in die entschieden bekanntere, weil längere Lippe. Jedenfalls gibt es eine Stelle, an der die Pader recht warmes Wasser führt. Dort haben früher die Frauen ihre Wäsche gewaschen, und diese
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