In meinem kleinen Land
bringt mich aus dem Konzept. Ich kann nachts nicht einschlafen deswegen und denke über meinen Wunsch nach, im nächsten Leben als Nase von Nicole Kidman wiedergeboren zu werden. Wenn schon in aller Welt leistungslos berühmt, dann als Nase von Nicole Kidman, denke ich noch und schlafe dann doch ein.
Schließlich die Lesung in einer großen Düsseldorfer Buchhandlung. Sehr schön, meine Babysitterin von vor dreißig Jahren war auch da, sie arbeitet dort. Ich erinnere mich, dass sie Mitte der siebziger Jahre wunderbar roch und ein grünes Mofa Marke Hercules besaß. Manchmal durfte ich mitfahren. Dann hielt ich sie von hinten fest umklammert und atmete ihren Duft ein. Ich glaube, sie war meine erste Liebe. Ich traue mich aber nicht, an ihr zu riechen, denn das findet sie bestimmt reichlich merkwürdig. Außerdem ist ihr Mann da.
Noch fünf Tage bis zur Bundestagswahl. Wen soll ich nur wählen? Vielleicht Gregor Gysis Linkspartei, denn sein Satz, dass man nicht arm sein müsse, um gegen Armut zu sein, leuchtet mir sehr ein. Er hätte auch sagen können: Man muss nicht reich sein, um für Reichtum zu sein. Der Sozialismus ist nicht nur für arme Leute da. Fescher Dandy.
Voerde. Waschbetown
13. September 2005
Voerde ist bei Dinslaken. Dinslaken ist bei Oberhausen. Oberhausen ist bei Duisburg. Duisburg ist bei Krefeld. Krefeld ist bei Düsseldorf. Nach Voerde zu fahren kommt einem vor, als reiste man in das Innere einer Matroschka.
Erst seit es Navigationssysteme gibt, ist Voerde überhaupt auffindbar. Man muss gefühlte sechzehnmal die Autobahn wechseln. Und das auf einer Strecke von vielleicht vierzig Kilometern. Noch vor wenigen Jahren führte dies unweigerlich zu ausführlichen Orientierungsfahrten durch das westliche Ruhrgebiet. Die vielen Geisterfahrermeldungen in der Region handelten wohl von Verzweifelten, die nach Voerde suchten. Gegen diese Theorie spricht nur, dass es kaum Gründe gibt, die für einen Besuch der Stadt Voerde sprechen.
Sie feiert fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Es ist ein aus mehreren Gemeinden zusammengebastelter, nicht unbedingt trostloser, allerdings ebenso wenig tröstlicher Ort, bei dessen Ausgestaltung viel Wert auf die Verwendung von Waschbeton gelegt wurde. Solche Gemeinden gibt es zu Tausenden in unserem kleinen Land. Man findet dort immer ein intaktes Vereinsleben vor, dazu Städtepartnerschaftsschilder am Ortseingang und Parkplätze, von denen es nicht weit in die Einkaufsstraße ist. Voerde ist so wenig besonders, dass man es leicht vergessen kann, wenn man gefragt wird, wo man denn in nächster Zeit so hinkommt. Und dann gibt es hier aber doch etwas ganz Besonderes. Etwas so Erinnernswertes, dass es mich noch lange begleiten wird. Die Buchhandlung.
Man bekommt eine Ahnung davon, wie es auch anderorts sein könnte, wenn alle Buchhändler so wären wie hier in Voerde. Das Publikum: Manche sind sehr weit gefahren, um sich in der warmen Buchhandlung aneinanderzudrängeln. Kuschelstimmung. Herrlicher Abend.
Nur noch vier Tage bis zur Bundestagswahl. Wen soll ich nur wählen? Stoiber vielleicht, also die CSU. Ich wohne ja in Bayern. Stoiber hat gerade die Ostdeutschen beleidigt. Dabei müsste er doch wissen, was jeder weiß, der um Mitmenschen wirbt: Wer ficken will, muss freundlich sein. Andererseits: Die im Osten können ihn ja gar nicht wählen. Und zu den Bayern ist er immer freundlich. Das ist mir sehr unangenehm.
Krefeld. Die Zwischenstadt
14. September 2005
Besonders im Westen unseres kleinen Landes spricht man von Ballungsräumen, wenn man eigentlich meint, dass keiner mehr so richtig durchblickt vor lauter Stadtgrenzen. Ein Reisender wähnt sich in Duisburg, befindet sich aber für einen Moment in Mülheim, um dann in Oberhausen festzustellen, dass das Ortsschild von Bottrop auftaucht, wo man Moers vermutet hat. Hier von einer Ballung zu sprechen, wäre sehr euphemistisch. Vermengungsraum träfe es eher, oder auf Speisekartendeutsch: «Städteeintopf nordrheinischer Art». Gleich daneben befindet sich Krefeld.
Ortsunkundige denken, Krefeld liege im Ruhrgebiet, aber das stimmt nicht und hat wie alles hier in der Gegend mit dem Rhein zu tun, der die Landschaft bei Krefeld schlingernd, aber präzise in «linker Niederrhein» und «Städteeintopf» teilt. Krefeld befindet sich links des Flusses, und selbst, wenn man bloß über eine Rheinbrücke zu fahren braucht, an deren Ende Duisburg beginnt, selbst wenn also ganz nahe etwas Gewaltiges beginnt, das man sogar
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