In meinem kleinen Land
man so etwas auf seinem Reiseplan liest, wird man unruhig. Das klingt ja doch gefährlich nach Rotlicht. Man stellt sich vor, dass dort gelangweilte Osteuropäerinnen Lapdance machen und sich von niederrheinischen Zuckerrübenbauern Fünf-Euro-Scheine in die Wäsche stecken lassen. Dann gehen die Damen von der Bühne, und der holländische Besitzer kündigt eine Lesung an. Ich erscheine in dem roten Licht, setze mich so wondratschekesk auf einen Barhocker und lese eine Seite. Dann lässt mir der Chef einer Drückerkolonne, der lieber Weiber sehen will, ein Pimm’s bringen, und ich gehe von der Bühne. Den Barhocker lasse ich stehen, der wird noch gebraucht, von der nächsten Tänzerin.
Natürlich ist dann alles ganz anders. «Conny’s Come in» ist eine kulturelle Institution in der Gegend, wahrscheinlich wichtiger als die meisten städtischen Bühnen im Umkreis, falls es die überhaupt gibt. Früher hieß die ursprünglich gutbürgerliche Gaststätte mal «Zum deutschen Eck» und diente in der Nazizeit als Versammlungsort der NSDAP. Ein gewisser Conny pachtete das Lokal vor siebenundzwanzig Jahren und baute es immer weiter aus. Heute finden dort auf mehreren Bühnen Lesungen, Jazz-Konzerte und Kabarett-Abende statt, manchmal sogar gleichzeitig.
Junge Leute kommen gerne her. Für sie gibt es eine Getränkekarte, die kaum einen Wunsch offenlässt. Über zwanzig Biere werden serviert, aber auch sehr ulkige Getränke wie «Rostiger Nagel». (Korn mit Tabasco, ein Euro fünfzig) oder «Eierfa». (Eierlikör mit Fanta, zwei Euro). Wer lieber Longdrinks mag, für den gibt es «Amaretto Apfel/Kirsch». (drei Euro) und andere klebrige Köstlichkeiten.
Kaum ist die Lesung vorbei, ertönt laute Jazz-Musik. Auf der Bühne nebenan hat man gewartet, bis ich fertig bin, dann geht die wöchentliche Jam-Session los. Ein wirklich eindrücklicher Ort, so mitten zwischen Kuh– und Trauerweiden.
Noch ein Tag bis zur Wahl. Was soll ich nur wählen? Angela Merkel vielleicht? Ihre Sprache hat so was Formelhaftes. Jedenfalls habe ich bei ihr den Eindruck, dass sie immer schon so geredet hat, auch bei der FDJ. Schön fände ich, wenn sie ihre Ansprachen mit den Worten «Parole Emil!» beenden würde. Aber den Gefallen tut sie uns nicht.
Rostock. Im Auftrag der freien Marktwirtschaft
19. September 2005
Die zweite Woche der Reise führt in den Norden. Wunderbar. Es ist noch ein wenig warm, der verregnete Sommer noch nicht ganz zu Ende. Flug nach Hamburg, weiter nach Rostock. Man gelangt gut mit dem Zug dorthin, einem Regionalzug, der durch Mecklenburg trödelt, mit Berufstätigen an Bord, oder wie man hier wahrscheinlich sagt: Werktätigen. Man unterhält sich eher nicht. Draußen fährt Schwerin vorbei, und wie die Landschaft, so das Leben hier: keine besonderen Vorkommnisse, alles verlässlich flach, manche Orte sehen aus wie gescheiterte Beziehungen.
Früher waren Fahrten mit der Bahn über Land noch melancholische Trips. Man schaute aus dem Fenster, hauchte das Glas an und malte Männchen hinein. Das ist aber aus der Mode. Die meisten Bahnkunden (früher: Reisende) schauen gar nicht mehr aus dem Fenster, sondern auf den Flachbildschirm, den der Anbieter eingebaut hat, um die Menschen zu berieseln. Das kann man auch selber. Ich zerstreue mich mit meinem neuen iPod, den ich extra für diese Reise mit ihren monatelangen Zugfahrten angeschafft habe.
Der Gesamteindruck dieses fraglos wunderbaren Gerätes wird durch die mitgelieferten Ohrhörer getrübt. Die taugen nichts und schmerzen, denn meine Ohren sind nicht dafür geschaffen, dass man etwas hineinsteckt. Die Löcher sind zu klein, kein Fremdkörper hält darin, und die Windungen meiner Ohrmuscheln lassen so etwas wie Tragekomfort ebenfalls kaum zu.
Die iPod-Hörer taten also erst weh und fielen dann heraus, und ich beschloss, dass ich die weißen, statussymbolhaften Ohrstöpsel des iPod durch etwas Uncooles ersetzen musste.
Deshalb hatte ich noch in Krefeld einen Media Markt betreten, um andere Kopfhörer zu kaufen. Der Bursche in der Kopfhörer-Abteilung riet mir zu einem Paar Stöpseln, die man wie Knetgummi in Form drücken müsse, um sie dann ins Ohr zu stopfen, wo sie sich von selber wieder aufplustern würden, um dann einen sagenhaften Bass-Sound zu erzeugen. Er selbst habe auch so welche, sagte er. Das ist normalerweise ein gutes Kriterium dafür, etwas nicht zu kaufen. Ich tat es trotzdem und probierte die Dinger gleich aus.
Ich pfriemelte die Teile in die Ohren
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