In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
richtigen Saal, an dessen Stirnseite vier hohe, zweigeteilte rechteckige Fenster das Sonnenlicht einfingen und durch die Butzenscheiben in viele kleine Kreise zerlegt in den Raum verstreuten. Mit einem kurzen Blick rundum stellte Cunrat fest, dass der Saal fast die gesamte Grundfläche des Hauses einnahm, nur die Rückwand war nach innen versetzt, um Platz zu schaffen für die Treppe und den Kaminschlot. Das Hohe Haus war nicht nur das höchste Bürgerhaus der Stadt, sondern auch eines der größten, und so hatte der Saal enorme Ausmaße. Die gebogene Decke mit ihren langen behauenen Balken erinnerte Cunrat an einen Schiffsbug. Neben der Tür war auch auf diesem Stockwerk ein offener Kamin gemauert, der zwar nicht so groß war wie der in der Küche, dafür aber umso prächtiger ausgestaltet. Fabeltiere, Blumenranken und vor allem das Wappen der Tettikovers – ein stolzer weißer Schwan auf rotem Grund – waren in den Sandstein eingemeißelt und farbig bemalt. Auch hier brannte ein kräftiges Feuer, doch stand vor dem Kamin ein großer runder Metallschirm, der verhinderte, dass Funken gefährlich in die Stube fliegen konnten. Deren Boden war mit Binsenmatten bedeckt und die Wände bis auf halbe Höhe mit gewobenen Vorhängen verhüllt, sodass der Saal dem Bäckergesellen trotz seiner Größe angenehm warm vorkam.
Was Cunrat jedoch am meisten begeisterte, war die Ausmalung des Raumes. So etwas hatte er bisher nur in Kirchen gesehen. Waren schon im Untergeschoss die Wände mit nachgemachtem Pelzwerk und falschen Steinquadern bemalt gewesen, so schienen sie hier regelrecht belebt zu sein. Die hölzernen Bohlenträger der Deckenbalken an Vorder- und Rückseite des Saales waren mit zahnbewehrten Drachen geschmückt, deren Hälse ineinander geschlungen waren, während die Schwänze sich in Blumenranken verwandelten.
Das Mauerwerk unterhalb der Decke war verputzt und bis zur Höhe des Vorhangs reich bemalt. Auf der einen Seite des Saales erkannte Cunrat die Darstellungen der Monate. In rankenumkränzten Medaillons entdeckte er all die Tätigkeiten, die Herren und Bauern zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres ausübten. Als er den Februar suchte, sah er einen Herrn im feinen Gewand vor dem Feuer sitzen und sich wärmen. Über dem Medaillon waren die Sternzeichen aufgemalt, die das Schicksal der in diesem Monat Geborenen bestimmten: der Wassermann mit einem Krug und zwei Fische. Unterhalb der Medaillons stand jeweils ein Vers auf die Wand geschrieben, aber da der Bäckergeselle nicht lesen konnte, wandte er sich der anderen Seite des Saales zu, die mit Szenen aus dem Hofleben bemalt war: Cunrat sah in der Mitte zwei prächtig aufgeputzte Ritter auf ihren Pferden beim Lanzenstechen, der eine ganz in Weiß, der andere vollkommen schwarz. Es sah so aus, als ob der weiße Ritter siegen würde, der schwarze war im Sattel schon bedenklich nach hinten geneigt. Links von dieser Szene versuchte einer der beiden, eine Burg zu stürmen. Cunrat vermutete, dass es wieder der Weiße war, aber da er hier keine Rüstung trug, sondern ganz normale Kleidung, war dies nicht mit Gewissheit festzustellen. Nur mit einem Blumenkranz bewehrt stürmte er eine Leiter hoch, denn es war eine Liebesburg, die er zu erobern suchte. Offenbar mit Erfolg, denn auf halber Höhe empfing ihn eine edle junge Dame am Fenster, während oben auf den Zinnen des Turmes ihre Eltern aufgeregt in der Ferne nach dem frechen Eindringling Ausschau hielten. Cunrat musste lachen über die List der Liebenden. Gewiss hatte Gretli diese Bilder auch schon gesehen. Verstohlen sah er sich nach ihr um, aber er hatte sie noch nirgends entdecken können. So schritt er weiter die Wand entlang und entdeckte rechts von den kämpfenden Rittern abermals das Liebespaar. Diesmal standen sich der Ritter und die Dame zwischen zwei Bäumen gegenüber und redeten offensichtlich miteinander, denn sie trugen Schriftbänder in den Händen. Wieder einmal tat es Cunrat leid, dass er nicht lesen konnte, zu gern hätte er gewusst, was die beiden sich zu sagen hatten.
»Dû bist mîn, ich bin dîn. Des solt dû gewis sîn.«
Als Cunrat sich überrascht umdrehte, stand Gretli hinter ihm und lachte.
»Das steht da. Schön, gell?«
»Ja, das ist schön.«
Er strahlte sie an. Sie war heute als Dienstmädchen gekleidet, mit einem einfachen braunen Kleid und weißem Kopftuch, das nur ein paar Strähnen ihrer roten Haare hervorlugen ließ. Ihr gestriges Abenteuer hatte kaum Spuren hinterlassen, nur
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