In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
überlegte noch, wie er entkommen konnte, da wurde er über eine Schwelle gestoßen, sodass er ins Stolpern kam, und dann eine Treppe hinab geführt. Er spürte, dass es kühl wurde, und durch das Sackleinen hindurch stieg ihm Modergeruch in die Nase.
Seine Peiniger drückten ihn schließlich in einer Ecke zu Boden, wo er sich einfach hinsetzte. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Doch dann schreckte er hoch. Eine Stimme, die er kannte, sagte: »So sieht man sich wieder, Cunrat.«
Gleichzeitig wurde ihm der Sack vom Kopf gerissen.
*
Poggio Bracciolini an Niccolò Niccoli, am 18. Mai, dem Tag des Märtyrerpapstes Johannes, im Jahre des Herrn 1415
Mein lieber Niccolò,
heute feiert die Christenheit den Tag des Papstes Johannes, der in grauer Vorzeit von Theoderich, dem König der Ostgoten, in Ravenna gefangen wurde und dort im Gefängnis das Martyrium erlitt. Auch unser Papst Johannes ist gefangen worden, durch den Römischen König Sigismund, aber ich hoffe, dass er nicht als Märtyrer sterben wird. Dazu hat er wohl auch nicht das Naturell.
Man hat ihn nun nach Ratolfzell gebracht, einer kleinen Stadt am nordwestlichen Ufer des Costentzer Sees, nicht weit von der Insel Richenow gelegen. Die Stadt wurde von einem ehemals veronesischen Bischof mit Namen Ratoldus gegründet, so hat man mir erzählt, und dieser habe aus Verona ein Fragment vom Schädel des Heiligen Zeno mitgebracht, das nun in der Ratolfzeller Kirche ruht. (Gerne würde ich einmal schauen, ob im Haupte des Heiligen zu Verona tatsächlich ein entsprechendes Stück fehlt!) Die Stadt stand bis vor Kurzem unter der Herrschaft des Herzogs Friedrich von Österreich und ist nun wie viele andere reichsfrei geworden, sodass König Sigismund hier ohne Gefahr seinen Gefangenen festhalten lassen kann.
Inzwischen wurde eine Kommission mit Vertretern aller Nationen unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Aix, Guillaume Fillastre, eingesetzt, um die Vergehen des Papstes zu untersuchen. Johannes selbst hatte den Franzosen vor einigen Jahren noch zum Kardinal ernannt, und nun ist er einer derjenigen, die Beweise für den Prozess gegen den Papst sammeln. Es heißt, binnen weniger Tage seien über 50 Zeugen gehört worden, und die Liste der Anklagepunkte werde immer länger. Ich bin gespannt, mein lieber Niccolò, was dabei herauskommen wird!
Außerdem – ahimé! – hat der unbekannte Mörder offenbar wieder zugeschlagen. Diesmal hat es Freund Cunrat getroffen, den langen Bäckergesellen. Sein Kumpan Giovanni kam aufgeregt zu mir und sagte, er sei verschwunden. Er war in die Badestube gegangen und ist nicht mehr zurückgekehrt. Der Bader bestätigte wohl, dass er dort gewesen war, aber danach hat ihn keiner mehr gesehen. Dabei hatte ich ihn noch eindringlich gewarnt, dass sicher auch er bedroht sei. Nun ist es jedoch zu spät, ich kann nicht mehr helfen. Ich hoffe nur, dass wir den armen Cunrat nicht bald mit einem Messer in der Brust und einem Schlangenbiss am Haupt wiederfinden werden!
Der Stadtvogt ist informiert worden, sagt aber, dass er nichts tun könne. Ich muss dir ganz ehrlich gestehen, dass ich mich inzwischen ohne meinen Diener Antonio nicht mehr aus dem Haus zu gehen traue.
Doch es geschehen auch noch erfreuliche Dinge. Das Wetter hat sich endlich gebessert, die schrecklichen Frühlingsstürme sind vorüber, und der Lenz zeigt sich in seiner ganzen Pracht. Es sind vor allem die Apfel- und Birnbäume, die die Gärten rund um Costentz mit weißen und rosenfarbenen Blüten schmücken und damit nicht nur die Augen, sondern auch die Nase erfreuen. Hin und wieder unternehme ich einen Ausritt, zum einen, um mein treues Maultier zu bewegen, zum anderen, um die heitere Luft und den Blick über den blauen See zu genießen und meinem Geist etwas Ablenkung von all den beklemmenden Ereignissen beim Konzil und in der Stadt zu verschaffen.
Es grüßt Dich aus dem gefährlichen Costentz
Dein Poggio
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Cunrat wusste nicht, ob Tag oder Nacht war. Er war von einem Geräusch erwacht, aber in seinem Kellerverlies war es finster. So lauschte er ins Dunkel, um zu hören, ob jemand die Treppe herabkam. Doch alles blieb still. Vermutlich war eine Ratte durch das Stroh gelaufen, das man ihm hingeworfen hatte. Er war verzweifelt, seine Situation war ausweglos. Wie hatte er jemals hoffen können, dass alles gut würde? Dass er mit Gretli glücklich werden könnte? Dass die Madonna auf seiner Seite wäre? Er war ein Sünder, der alle um sich herum ins Unglück
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