In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Säulen aus dem Dunkel trat. Der Boden war mit schwarz-weißen Fliesen ausgelegt, die Wände im unteren Teil mit grünen, goldverzierten Brokattüchern behängt, während darüber eine Reihe doppelbögiger Fenster die Wand entlanglief. Die Kassetten der flachen Holzdecke waren mit Sternen bemalt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand ein geschnitzter Schrein mit einem Lesepult, an den seitlichen Wänden waren Bänke und Tische aufgestellt.
»Die Judenschule!«, flüsterte Cunrat in plötzlicher Erkenntnis.
»Ja, das ist die Synagoge, hier darf man nur mit Kopfbedeckung eintreten.«
Giovanni hatte wohl geahnt, wo der Jude sie hinführen würde.
Die bärtigen Männer setzten sich hinter die Tische an der Seite und boten auch den drei Nichtjuden einen Platz an. Meister Ismael hingegen begab sich zum Pult vor dem Schrein, auf dem bereits ein Buch lag.
Dann begann er zu sprechen.
*
Poggio Bracciolini an Niccolò Niccoli, am 13. Juni, dem Tag des Heiligen Antonius von Padua, im Jahre des Herrn 1415
Mein lieber Niccolò,
es ist erstaunlich, welch neue Horizonte sich in dieser kleinen Stadt Costentz, die mir am Anfang einfach nur barbarisch erschien, immer wieder auftun.
Denke nur, vor genau einer Woche habe ich eine halbe Nacht mit einer ganzen Schar von Rabbinern in einer Synagoge gesessen und – nein, nicht gebetet, wie du nun vielleicht denken könntest, sondern versucht, dem unbekannten Mörder auf die Spur zu kommen. Lass Dir berichten!
Am letzten Donnerstag, dem 6. Juno, hat König Sigismund den Juden des Römischen Reiches einen Freiheitsbrief ausgestellt. Nun möchte ich bei des Königs Wankelmut nicht weissagen müssen, wie lange sie sich dieser Freiheiten erfreuen werden, dennoch war es für die hiesige Gemeinde ein Grund, zu feiern. Und zu diesem Feste hatte der jüdische Arzt Ismael auch die beiden Bäckergesellen und mich geladen.
Ich hatte mich schon früh eingefunden und brachte dem Hausherrn als Gastgeschenk die Abschrift einiger Fabeln des Äsop mit, die ich von Leonardo Bruni zugesandt bekommen hatte. Meister Ismael bedankte sich artig für die Gabe und wies mir einen Ehrenplatz am Tische seiner Familie an. Das Fest fand angesichts der milden Temperaturen im Innenhof seines Hauses statt. Es gab Musik und reichlich zu essen, Lamm, Geflügel, Kalbsbraten und Fische, alles nach jüdischer Art bereitet, aber sehr wohlschmeckend, dazu recht guten Wein von des Juden eigenem Weinberg. Seine Tochter bediente uns, sie ist wirklich eine anmutige Jungfrau, die zur Frau zu bekommen sich jeder Mann glücklich schätzen kann!
Ich weiß nicht, ob ich dir schon berichtet habe, dass ich selbst angefangen habe mit Hebräischstudien. Nachdem ich mich inzwischen zu meinem eigenen Erstaunen dank des Herrn von Wolkenstein doch recht passabel in dieser Barbarensprache Deutsch zu verständigen gelernt habe, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, auch die Ursprache der Bibel, eben das Hebräische, zu studieren, vor allem, um die Bibelübersetzung des Heiligen Hieronymus besser verstehen zu können. Allerdings bin ich damit nicht sehr weit gediehen, denn der Konvertit, der mir Lektionen in Hebräischlektüre erteilen sollte, ist ein wahrer Leichtfuß, unzuverlässig, dumm und wankelmütig. Selbst die Schriften, die er mit mir bisher gelesen hat, kamen mir roh, unkultiviert und bäurisch vor.
Ich berichtete Meister Ismael von dieser misslichen Erfahrung, doch als ich ihm den Namen meines vermeintlichen Lehrers nannte, lachte er nur und nannte ihn einen ›Nudnik‹, von dem nichts anderes zu erwarten gewesen sei.
Ich erwiderte ihm, dass Hebräischstudien mit ihm als Meister gewiss angenehmer wären, doch da hielt er mir entgegen, er habe leider keine Zeit für derlei Vergnügungen. Auf meine Frage, mit welchen jüdischen Schriften ich mich denn seiner Meinung nach beschäftigen sollte, antwortete er, dass es am besten wäre, zunächst einmal den babylonischen Talmud in der Form zu lesen, die ihm Hillel der Ältere gegeben hatte. Darin befände sich der zentrale Satz ›Tue deinem Nächsten nicht das, was du nicht willst, dass man es dir tue!‹ Der Rest sei Kommentar.
Ich muss sagen, mein Niccolò, dass dieser Satz mich sehr beeindruckt hat und mich in meinen Gedanken seither immer wieder beschäftigt. Was, wenn wir diese Idee zur Grundlage eines Gemeinwesens machen könnten?
Doch dann erschienen auch die beiden Bäcker auf dem Fest. Ich hatte dir ja berichtet, dass das Räubernest, in dem die
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