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In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)

In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)

Titel: In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Küble , Henry Gerlach
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einzelne Blätter, bis er den Codex plötzlich mit einem Ruck öffnete. Meister Ismael hielt den Leuchter neben das Pult, um zu sehen, welche Seite Eleazar aufgeschlagen hatte.
    ›Bereschit!‹ verkündigte er laut.
    Ein Raunen ging durch die Reihe der Rabbiner. Ich bemerkte, wie mein armer Cunrat verständnislos auf seinen Freund Giovanni blickte. Der flüsterte ihm zu: ›1. Buch Mose‹, was mich bass erstaunte, denn das hatte selbst ich nicht gewusst. Dieser venezianische Bäcker ist mir manchmal fast unheimlich.

    Dann gab Ismael dem alten Mann einen feinen Holzstab in die rechte Hand, an dessen Spitze eine kleine silberne Zeigehand befestigt war. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger dieser Hand strich der Blinde langsam die rechte Seite des Blattes entlang. Endlich hielt er inne, und Ismael las vor, was an jener Stelle geschrieben stand.

    ›Und Jakob kochte ein Gericht. Da kam Esau vom Feld und war müde.
    Und sprach zu Jakob: Lass mich essen das rote Gericht; denn ich bin müde.
    Daher heißt er Edom.
    Aber Jakob sprach: Verkaufe mir heute deine Erstgeburt.
    Esau antwortete: Siehe, ich muss doch sterben; was soll mir da die Erstgeburt?
    Jakob sprach: So schwöre mir zuvor.
    Und er schwor ihm und verkaufte so Jakob seine Erstgeburt.
    Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon. So verachtete Esau seine Erstgeburt.‹

    Mein lieber Niccolò, ich habe dir das alles so genau geschildert, damit du verstehst, was dann geschah. Eine Art Sturm brach los. Auf Hebräisch und Jiddisch und Lateinisch wurde nun diskutiert und gestritten. Wir drei Nichtjuden verstanden höchstens das eine oder andere Wort, obwohl Giovanni bei dem Namen Jakob natürlich zusammengezuckt war und ich von seinen Lippen ›Jakob Schwarz!‹ ablesen konnte. Nach langem Hin und Her präsentierte uns Meister Ismael schließlich das Ergebnis der gelehrten Disputationen seiner Rabbinerkollegen. Gemeinsam waren sie zu folgenden Schlüssen gekommen:
    Mit dem roten Gericht sei wohl das Schlangengift gemeint, mit dem die Opfer betäubt worden waren. Ein außerordentlich listenreicher Mann habe es zubereitet, denn der Name Jakob bedeute auf Hebräisch ›der Listige‹.
    Das Erstgeburtsrecht meine das Recht auf Leben überhaupt, das er mit seinem Gericht den anderen weggenommen habe.
    Das Schwören hingegen bedeute, dass die Opfer eine geheime Verbindung zu ihrem Mörder gehabt hätten. Doch so wie Esau die Erstgeburt nicht wichtig genommen habe, so hätten sie diese Verbindung nicht wichtig genug genommen. Deshalb hätten sie sterben müssen.

    Am Ende sah uns Meister Ismael erwartungsvoll an. Doch auch er hatte verstanden, dass das jüdische Orakel nicht wirklich Neues zutage gefördert hatte. Es hätte mich auch gewundert, wenn es zuverlässiger gewesen wäre als die Orakel von Delphi, Ephyra und Didyma, als jene der Haruspices und Flamines, der Propheten und Sibyllen. All diese Versuche, höheres Wissen zu erlangen, sind doch letztendlich nichts anderes als Scharlatanerie, und auch die Auslegung durch die weisen jüdischen Männer brachte uns nicht die gewünschte Erleuchtung. So versuchten wir, uns die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und verließen die Synagoge auf demselben verschlungenen Weg, über den wir gekommen waren.

    Übrigens nimmt auch die Vorsehung verschlungene Wege, wie allgemein bekannt ist. Stell dir vor, am Montag der vergangenen Woche wurde der Papst – oder genauer – der ehemalige Papst Johannes von Ratolfzell in das bischöfliche Schloss nach Gottlieben verlegt, wo zur gleichen Zeit der Böhme Jan Hus einsaß. Für immerhin zwei Tage saßen die beiden Johannese – denn Jan bedeutet nichts anderes als Johannes – am gleichen Ort gefangen, womöglich Wand an Wand. Welch eine Ironie des Schicksals! Der ehemalige Papst und der von ihm bekämpfte Ketzer! Inzwischen wurde Hus jedoch ins Minoritenkloster nach Costentz überführt, wo zurzeit Verhöre stattfinden. Dreimal wurde der Böhme den Konzilsvätern vorgeführt. Doch in der ersten Sitzung vom 5. Juni hat man den Angeklagten gar nicht zu Wort kommen lassen, sondern in unwürdiger Weise niedergeschrien. Statt ›Verhör‹ hätte man diese Verhandlung auch ›Verstör‹ nennen können! Erst in der zweiten und dritten Sitzung konnte Hus seinen Standpunkt darlegen, weil Sigismund anwesend war, der dafür sorgte, dass auch der Beschuldigte zu Wort kam. Vor allem seine Befürwortung der Ideen Wyclifs wurde dem

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