In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
Rossgasse und verließen schließlich die Stadt durch das Kreuzlinger Tor, wo der Wächter zurückblieb. Auch an der äußeren Mauer waren Bauarbeiten im Gange.
»Jetzt gehen wir zu den Augustinerchorherren ins Kloster, bitten um Unterkunft, und wenn morgen der Graf kommt, drängen wir uns mit seinem Gefolge wieder hinein.«
»Aber w… wenn er nicht k… kommt?«, fragte Cunrat, nun doch wieder bang geworden.
»Er kommt, er kommt bestimmt!«, beruhigte ihn Giovanni.
Aber er kam nicht.
Der für die Bettler zuständige Bruder des Klosters Kreuzlingen schickte sie am nächsten Tag unerbittlich weiter. Im Kloster konnten fremde Arme höchstens für eine Nacht Unterkunft bekommen, so war die Regel, nur die Armen der eigenen Herrschaft wurden auch länger beköstigt. Joß hörte nicht auf zu maulen über diese Schnapsidee, die eines Welschen würdig sei, und womöglich müssten sie den halben Winter hier vor der Stadt warten, wo man doch eigentlich jetzt in der warmen Backstube stehen könnte. Cunrat dagegen fühlte sich eher hilflos. Er hatte noch nie eine solche Situation erlebt, war noch nie ohne ein Zuhause gewesen, ohne die gewohnten Menschen, zu denen er gehörte.
»Kommt, ihr Flennbrüder, wenn er heute nicht kommt, kommt er morgen! Der Graf kommt zum Konzil, das ist sicher. Vielleicht gab es zu viel Schnee in den Bergen, sodass er langsamer vorankam, oder eine besonders schöne Wirtin hat ihn unterwegs aufgehalten, aber er wird kommen!« Giovanni ließ sich nicht beirren. »Da vorn ist doch schon das nächste Kloster, da bitten wir um Einkehr für die kommende Nacht!«
Rechts neben der Landstraße Richtung Süden konnte man in einiger Entfernung ein paar Häuser und eine Kirche erkennen, die von einer Mauer umgeben waren.
»Bist du verrückt geworden?«, rief Joß entsetzt. »Das ist das Siechenhaus an der Hochstatt!«
Giovanni blieb wie angewurzelt stehen.
»D… das S… siechenhaus?«, fragte Cunrat.
»Ja, Siechenhaus!«, antwortete Joß ungeduldig. »Sondersieche, Aussätzige, lebende Tote! Hierher kommen die Siechen aus der ganzen Umgebung. Seht ihr, da vor dem Kirchenportal sitzen welche. Ich geh da nicht hin!«
In der Tat konnte man vor der Kirchenfassade, die nach Norden Richtung Costentz den Mauerring unterbrach, ein paar kauernde Gestalten auf den Stufen erkennen. Trotz oder wegen Joß’ Warnung neugierig geworden, näherte sich Cunrat den Siechen. Er hatte immer nur vom Aussatz gehört, in Geschichten seiner Mutter, in denen Jesus einen Mann von dieser Krankheit geheilt hatte, aber er konnte sich nicht vorstellen, was das bedeutete. So ging er vorsichtig auf die Leprakranken zu und erschrak, als sie plötzlich mit einer hölzernen Klapper anfingen, Lärm zu machen. Er blieb stehen und starrte sie an. Es waren zwei Frauen und ein Mann, die auf einer Stufe vor der Kirchentür saßen. Sie waren in auffallende rote Mäntel mit Kapuzen gehüllt, und die Frauen hatten auch noch ihren Schleier vors Gesicht gezogen. Der Mann trug einen Hut mit breiter Krempe, aber sein Gesicht war frei, sodass Cunrat gut die Zeichen des Aussatzes erkennen konnte: Die Nase war nur noch eine kleine Erhebung im Gesicht, als ob sie weggefressen wäre, seine Wangen waren von roten Beulen übersät, und als er die Hand zu einer bittenden Geste erhob, sah Cunrat, dass er keinen einzigen Finger mehr hatte. Nur ein Stumpf bat um eine milde Gabe. Dem Bäckergesellen grauste, und gleichzeitig empfand er unerhörtes Mitleid für die drei Gestalten. Er holte einen Heller heraus und warf ihn vor sie auf den Boden. Ihn direkt zu überreichen traute er sich nicht. Eine der Frauen erhob sich und sammelte mit den Fingern ihrer weitgehend unversehrten linken Hand die Münze ein.
»Mögen Gott, seine Mutter Maria, der Heilige Petrus und der Heilige Johannes dich segnen!« Sie zeigte mit ihrer bindenumwickelten rechten Stummelhand nach oben.
Cunrats Blick folgte ihrer Geste, und er sah, dass an der Kirchenwand auf vier Konsolen über dem Portal Steinfiguren der Genannten über die Kranken wachten. Es waren alte Figuren mit groben Gesichtszügen und Nasen, die denen der Aussätzigen auf unheimliche Weise ähnelten. Ihre Farben waren verblichen, sodass man fast nur noch den grauen Stein sah, aus dem sie gehauen waren. Sie wirkten ganz anders als die neueren Statuen an den Kirchenportalen der Bischofskirche oder bei den Augustinern, die viel feiner gearbeitet und reich bemalt waren, sodass man fast glauben konnte, es handle sich um
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