In sanguine veritas - Die Wahrheit liegt im Blut (German Edition)
Fernseher. Wir alle wollten ihn sprechen hören. Der Vampir ließ sich Zeit und dachte über seine Worte nach, dann öffnete er den Mund und zu unserem Bedauern sah man keine Fangzähne.
„Wir sind es leid, uns zu verstecken. Wir glauben, dass die Menschen nun bereit sind , uns als das zu akzeptieren, was wir sind, ohne uns gleich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Also haben wir eine Versammlung einberufen und uns entschieden, endlich aus dem Schatten in die Sonne zu treten.“ Seine Stimme war so wunderbar sanft und wirkte fast wie gehaucht. Meine Mutter seufzte laut auf, als sei sie dem Mann im Fernseher verfallen. Die Aura dieses Wesens nahm das ganze Fernsehstudio ein und schien selbst über die Mattscheibe hinaus ihre Wirkung zu entfalten. Wir schwiegen. Keiner von uns traute sich etwas zu sagen, da wir Angst hatten auch nur ein Wort des Vampirs zu verpassen.
„Ich denke , die wichtigste Frage, die unseren Zuschauern auf der Seele brennt, ist die Ihrer Ernährung. Stimmt es, dass Vampire sich ausschließlich von Menschenblut ernähren, oder ist dies ein ähnlicher Mythos wie der, dass sie in der Sonne verbrennen?“ Der Moderator schluckte und rutschte in seinem Sessel hin und her.
Der Vampir lächelte und da waren sie: seine Fangzähne! Weiß wie Schnee und spitz wie Steakmesser.
„Wi r ernähren uns von Menschenblut“, sagte er kurz angebunden, was seinen Gesprächspartner nicht zu beruhigen schien. Er tat mir wirklich leid.
„Das bedeutet? Könnten Sie das etwas ausführen? “
„Uns liegt es genauso fern , einen Menschen zu töten, wie Ihnen. Es kommt bei diesem Verfahren kein Mensch zu Schaden. Übrigens stimmt der Unsinn, dass wir tote, verwandelte Menschen sind, auch nicht. Wir sind eine eigenständige Rasse. Das ist es doch, was Sie meinten, oder?“
„J a. Verraten Sie uns, wie dieses Verfahren abläuft?“
„Nein.“ Das war eine klare A ussage. Als der Vampir merkte, dass der Moderator vollkommen aus seinem Konzept gekommen war, half er ihm, indem er weitersprach. „Wir wollen mit Informationen über uns noch vorsichtig sein. Alles, was die Menschheit zurzeit wissen muss, ist, dass sie sich nicht vor uns zu fürchten braucht. Im Gegenteil. Wir wollen Hand in Hand mit den Menschen leben.“
Der Moderator nickte , wühlte aber nur nervös in seinen Karten.
„Vor Ihnen sitzt ein zweitausend Jahre altes Wesen und Ihnen fällt keine Frage mehr ein?“
Ein Raunen ging durch das gesamte Publikum, als der Vampir sein Alter nannte, und auch der Moderator weitete die Augen.
„Kannten Sie Jesus? “, sprudelte es aus ihm heraus.
Der Vampir schien überaus amüsiert über diese Frage. „Sagen wir es mal so: Ich habe von ihm gehört … damals. Aber getroffen habe ich ihn nicht.“
„Sind Vampire gläubig?“
„Ja und nein. Genau wie bei den Menschen, scheiden sich auch bei uns die Gemüter. Die meisten Vampire folgen dem alten Weg. Wir sind zwar sehr intelligent, aber es wäre vermessen, zu denken, dass wir in Sachen Glauben auch nur einen Deut schlauer sind als jedes andere Wesen.“
„Gibt es noch andere übernatürliche Wesen?“ Der Moderator schien seinen Faden wiedergefunden zu haben.
„Es entzieht sich meiner Vollmacht, über solche Dinge zu spr echen.“
Das Interview ging eine halbe Stunde. Danach verabschiedete sich der Moderator bei dem Vampir, welcher wieder nur respek tvoll mit dem Kopf nickte.
Meine Mutter brachte mich ins Bett und wiederholte noch ei nmal den wohl essentiellsten Satz: „Alles, was die Menschheit zurzeit wissen muss, ist, dass sie sich nicht vor Vampiren zu fürchten braucht.“
Das war jetzt fünf Jahre her und seitdem hatte ich nicht einen Vampir getroffen. Ich hörte, dass es in Köln einunddreißig registrierte Vampire gab. Die Chance, einen zu treffen, war also nicht besonders groß.
Das Fernsehen und die Zeitungen waren noch einige Zeit voll mit Bild ern und Informationen über die „Kinder Satans“, wie sie die Kirche nannte, doch dann wurde es ruhig. Nur der Moderator hatte sich zum Kasper der Nation gemacht. Stefan Raab machte viele Jahre Witze über ihn. Bei jedem Gast in seiner Late-Night-Show brachte er den gleichen Witz: „Was ich Sie schon immer mal fragen wollte …“, Buzz, „… kannten Sie Jesus?“
Kapitel 1
Die Sommerferien waren vorbei . Ich war sechzehn geworden und hatte meine erste Sommerliebe im Urlaub auf Ibiza hinter mich gebracht. Er hieß Ben, war achtzehn Jahre alt und kam aus Hamburg. Als wir
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