In Schönheit sterben
Honey.
Kapitel 33
»Wo fährst du also hin?«
Das war wieder mal typisch. Da wollte sie sich einen Tag mit Steve Doherty gönnen – erst einmal in Polizeiangelegenheiten, und dann konnte man sicherlich auch noch ein bisschen gemeinsame Freizeit einplanen –, und schon rief ihre Mutter an.
»Wir gehen Zeugen befragen.«
»Leute, die wirklich gesehen haben, was geschehen ist? Erzählen die euch etwa sämtliche Einzelheiten?«
Wenn man bedachte, dass Gloria Cross eigentlich Kitschromane bevorzugte, dann zeigte sich jetzt plötzlich eine ziemlich blutrünstige Seite ihres Charakters.
»Nein, so ist das nicht. Die Leute könnten nur irgendwie mit diesem Fall zu tun haben. Es sind keine Verdächtigen.«
Die Stimme ihrer Mutter klang ein bisschen wie die einer Erzählerin aus den Spukfilmen um Mitternacht. Für eine Frau, die nur Dior-Kleider und hochhackige Designerschuhe trug, war sie reichlich scharf auf mörderische Details.
Honey spielte Mrs. Vernünftig. »Wir stellen Fragen. Sie antworten. Das ist alles. Aber um es einmal korrekt auszudrücken: Sie werden zu einem ungeklärten Mordfall befragt.«
»Du musst es mir unbedingt verraten, wenn es irgendwas Aufregendes gibt. Die Mädels wollen alles, wirklich alles wissen.«
Die »Mädels«, das waren ihre Freundinnen, keine auch nur einen Tag unter siebzig. Die meisten hatten den zweitenWeltkrieg noch erlebt und erröteten bei der Erinnerung an einige ihrer Eskapaden während dieser Zeit nach wie vor.
Eine der alten Damen hatte einmal zu Honey gesagt: »Ihr jungen Leute denkt, ihr hättet den Sex erfunden. Na, habt ihr nicht! Wir brauchten doch während der Verdunklung was zu tun!«
Die »Mädels« liebten Klatsch und Tratsch, je pikanter, je blutrünstiger, je geiler desto besser.
»Mutter, ich muss jetzt los.«
»Noch nicht!«
Warum folgte sie bloß der Stimme ihrer Mutter so gehorsam wie ein bestens abgerichteter Hund seinem Herrchen?
Der Tonfall! Jawohl! Daran lag’s!
»Ich nehme an, du hast letzte Nacht wieder in seinem Bett geschlafen.«
Honey schaute zu Doherty hinüber. Der hatte bereits erraten, mit wem sie telefonierte, und war unter der Bettdecke verschwunden.
»Ich bin über einundzwanzig, Mutter. Ich bin sogar über einundvierzig.«
»Je oller, je doller.«
Honey blieb beinahe die Spucke weg. Ausgerechnet ihre Mutter musste ihr das sagen! Sie, die immer noch sehr gern säckeweise Komplimente entgegennahm und manchmal ein Spitzenkorsett trug – je nachdem, wie es um die Manneskraft ihres augenblicklichen Galans beschaffen war.
Honey fand ihre Stimme wieder und zischte durch zusammengebissene Zähne: »Mutter. Ich muss jetzt aufhören.«
»Vielleicht könntest du in deinem vollen Terminkalender ein bisschen Zeit finden, um bei mir vorbeizuschauen? Ich möchte deine Meinung zu einem Hochzeits-Outfit hören.«
»Doch nicht etwa zu deiner Hochzeit?«
»Natürlich nicht. Ich habe den Richtigen noch nicht gefunden.«
»Natürlich nicht.«
»Enid Bevan heiratet. Einen Mann, den Sie auf einer Kreuzfahrt von Saga kennengelernt hat.«
Saga veranstaltete Kreuzfahrten für ältere Herrschaften. Ältere Herrschaften liebten Kreuzfahrten. Ihre Mutter liebte Kreuzfahrten. Sie boten ihr die seltene Gelegenheit, einmal mit einem Partner zu tanzen, der nicht wie sie Stöckelschuhe trug. Die Mannschaft wurde nämlich zu den Tanzveranstaltungen dienstverpflichtet und musste mit den Gästen über den Tanzboden schweben. Das gehörte zu ihrem Vertrag.
Offensichtlich hatte Enid einen Liebling gefunden, jemanden in ihrem Alter.
Enid Bevan war beinahe fünfundsiebzig. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie sich wild entschlossen gezeigt, so bald wie möglich wieder zu heiraten.
Viel Zeit hatte sie nicht verstreichen lassen. Ihr verstorbener Ehemann war gerade mal sechs Monate unter der Erde. Aber Honey verstand Enid. Sie war ihr ein paar Mal begegnet, und da hatte sich das Gespräch nur um Liebe und Romantik gedreht. Honey war zu dem Schluss gelangt, dass Enid die Sorte Frau war, die einfach nicht zurechtkam ohne einen Mann an ihrer Seite. Irgendeinen Mann.
Honey überlegte, dass es eigentlich so schrecklich nicht sein würde, den Kleiderschrank ihrer Mutter durchzuschauen und ihr Ratschläge zu geben, und sagte zu.
Doherty merkte, dass das Gespräch seinem Ende entgegenging, und war inzwischen schon wieder, zumindest mit dem oberen Teil des Kopfes, unter der Bettdecke hervor aufgetaucht.
»Probleme?«
»Nein!«, antwortete Honey fröhlich.
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