In seinem Bann
die ebenso berühmte wie puristische Chaise Longue von Le Corbusier. Schräg hinter dem Schreibtisch und an der gegenüberliegenden Wand hingen zwei großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien von Helmut Newton, bei deren Anblick ich unwillkürlich die Lippen kräuselte.
»Dieser Raum ist weniger nach deinem Geschmack«, riet Ian. Er war in der Tat ein scharfsinniger Beobachter.
Ich schüttelte den Kopf.
»Bauhaus und Art Déco, das harmoniert perfekt. Aber du weißt selbst, dass diese Fotografien purer Sexismus sind, oder?«
Er schmunzelte.
»Es ist Kunst, würde ich sagen.«
»Natürlich ist es das. Perfekt inszeniert und meisterhaft in der markanten Licht-Schatten-Dramaturgie, wie immer bei Newton. Trotzdem gehören diese Arbeiten in meinen Augen zu den misogynsten seines Werks.«
»Warum meinst du das?«
»Wegen der Klischeebeladenheit dieser Szenen. Die willige nackte Frau als fleischgewordene Trophäe auf dem Schreibtisch des mächtigen Alpha-Mannes.«
Office Love , das Bild, das bezeichnenderweise hinter Ians Schreibtisch hing, zeigte ein nacktes Model, das rücklings auf einem Schreibtisch liegend Sex mit einem Mann im schwarzen Anzug hatte.
Die verführerische, blonde Femme Fatale, in der man erst bei näherem Hinsehen die begnadete Schauspielerin Charlotte Rampling erkannte, und die die gegenüberliegende Wand zierte, hatte ebenfalls bereits mit gespreizten Beinen auf dem Tisch Platz genommen und schien ihren Liebhaber in dieser bereitwilligen Pose zu erwarten.
»Schau in ihr Gesicht, Ann-Sophie. Ich frage dich, ist diese sinnliche Verführerin das Opfer patriarchalischer Machtverhältnisse?«
Ich hob beide Augenbrauen. »Auch wenn Newtons Frauen stark in ihren Posen sind, selbstbewusst in ihren Blicken, bleiben sie doch Prototypen männlicher Machtfantasien.«
Ian zuckte mit den Schultern und das jungenhafte Lächeln, das sich auf seinem hübschen Gesicht ausbreitete, hätte wohl bei fast jeder Frau für weiche Knie gesorgt.
»Ich würde dich jedenfalls gern in dieser Pose auf meinem Schreibtisch sehen.« Seine Stimme hatte wieder diesen betörend sonoren Klang angenommen und das raue Vibrato darin jagte mir einen prickelnden Schauer über den Rücken.
Dennoch bemühte ich mich um Contenance und einen abgeklärten Tonfall. »Das glaube ich dir aufs Wort, Ian Reed.«
»Nun, und ich bin überzeugt, dass ich früher oder später in diesen Genuss kommen werde.«
Ich lächelte ihn offenherzig an und wandte mich dann demonstrativ zu dem wandfüllenden Regal mit Büchern.
Natürlich hätte ein Mann wie Ian Reed ein herrschaftliches Anwesen mit einer riesigen, antiken Bibliothek sein Eigen nennen können, aber nachdem dem nicht so war, musste ich davon ausgehen, dass das hier die Essenz seines literarischen Interesses darstellte. Neugierig schritt ich an den dicht an dicht penibel einsortierten Büchern entlang. Den größten Teil machten erstaunlicherweise Kunstbücher aus, von denen mich einige vor Neid erblassen ließen. Monografien, Ausstellungskataloge und teure, teils geradezu unbezahlbare Künstlerbücher standen neben einer nicht weniger bemerkenswerten Sammlung von kunstwissenschaftlicher Fachliteratur. Außerdem gab es beeindruckende Werkausgaben bedeutender Literaten der englischen, französischen und deutschen Literaturgeschichte und eine große Reihe philosophischer Werke. Ich war überrascht, hier auf Marx, Foucault, Baudrillard, Horkheimer, Adorno und Marcuse zu treffen.
»Frei nach dem Motto, man muss seine Feinde kennen?« fragte ich.
»Du wirst es mir zwar nicht glauben, aber die Köpfe der Frankfurter Schule waren die Heroen meiner Jugend, die mich bis heute prägen.«
»Dann trifft auf dich also eher der Wahlspruch zu Wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer mit vierzig noch immer einer ist, keinen Verstand ?«
Ian lachte sein perlendes Lachen.
»Als Geschäftsmann muss man nicht zwangsläufig seine Seele verkaufen und all seine Ideale über Bord werfen.«
»Nein, das muss man nicht. Aber du bist nun mal kein einfacher Geschäftsmann. Du bist einer der mächtigsten Hotel-Mogule und Immobilieninvestoren der Welt. Linkes Gedankengut kaufe ich dir nicht ab.«
»Ich bin ein facettenreicher Mann. Und du kennst bislang nur einen Bruchteil meiner Eigenschaften.«
»Genau das ist ja das Problem. Gib mir Gelegenheit dazu, sie kennenzulernen, Ian. Anders kann das zwischen uns nicht funktionieren.«
»Das ist einer der Gründe, warum ich mit dir hier bin,
Weitere Kostenlose Bücher