In seinem Bann
eine kleinere Gruppe von Studenten der Kunstgeschichte, die regelmäßig meine Seminare besuchten und sich vermutlich auch diesen Vortrag anhören würden.
Größere Schwierigkeiten dagegen bereitete mir das Vortragsthema. Das Skript selbst hatte ich bereits vor Wochen verfasst und auch die Powerpoint-Präsentation schon beizeiten fertiggestellt, lange bevor ich Bekanntschaft mit Ian Reeds Ledermanschetten gemacht hatte.
Als ich jetzt jedoch an meinem Schreibtisch saß und mir meinen eigenen Text zur Vorbereitung nochmals zu Gemüte führte, gewann das Thema für mich eine ganz neue, brisante Dimension und auch die nochmalige Durchsicht meiner Bilderschau ließ mich weniger kalt als bislang. Hatten diese zweifellos erotisch aufgeladenen Darstellungen für mich bisher lediglich eine kunsthistorische, rein wissenschaftlich motivierte Bedeutung gehabt, gewannen sie nun eine befremdlich persönliche Geltung.
Eine Zeit lang verweilte ich bei Man Rays Schwarz-Weiß-Fotografien der Serie Les Fantasies de Monsieur Seabrook , die den Betrachter in einem quasidokumentarischen Stil zum Voyeur bei einer sadomasochistischen Fetisch-Session machten. Auffällig war, dass sowohl die erduldende als auch die ausführende Person weiblich waren. Eine Frau im schwarzen Leder-Outfit mit den obligatorischen langen Handschuhen und Stiefeln fesselte ihre nackte Partnerin in verschiedenen erniedrigenden Posen, knebelte sie, folterte ihre Brustwarzen oder schlug sie mit einer Art Rohrstock.
Ich spürte, wie meine Kehle trocken wurde. Ich hatte mir die Details dieser Bilder noch nie so bewusst angesehen und vor allem hätte ich sie niemals mit mir selbst in Verbindung gebracht. Was ich jetzt empfand war eine verwirrende Mischung aus Gefühlen, die sich nur schwerlich aufschlüsseln und analysieren ließen. Ich empfand nach wie vor Abscheu vor dem schäbig anmutenden Raum und der plakativen Kostümierung der Akteurin und ich hatte nur Unverständnis übrig für die Frau, die offenbar freiwillig und zum Lustgewinn Schmerzen erduldete, die ich mir schrecklich und unerträglich vorstellte. Aber ich spürte auch ein feines Kribbeln der Erregung bei dem Anblick der ebenso obszön wie effektiv Gefesselten und bei dem Gedanken, von Ian Reed auf eine solche Weise gefesselt zu werden.
Waren es tatsächlich derartige Praktiken, die ihn erregten? Mochte er nur das stimulierende Machtgefühl, das ihm der Anblick einer wehrlos gefesselten Frau bescherte oder fügte er seinen Bettgefährtinnen auch gern Schmerzen zu?
Ich war offenbar wirklich dabei, den Verstand zu verlieren, dass ich mir darüber Gedanken machte. Ich würde wohl nie erfahren, welche Abgründe Ian Reeds rätselhaftes Wesen noch bereithielt, welche Dämonen sonst noch in ihm schlummerten und ich sollte froh darüber sein, keine noch nähere Bekanntschaft mit ihnen gemacht zu haben.
Kapitel 3
Ich erreichte die Senckenberganlage um kurz vor sechs und fand auch den Raum auf Anhieb, so dass mir noch eine Viertelstunde blieb, um ein paar Worte mit den beiden Initiatorinnen der Veranstaltungsreihe zu wechseln und um Beamer und Laptop startklar zu machen.
Nach und nach füllte sich der Raum, bis nur noch wenige Plätze frei waren, wobei das Publikum ebenso heterogen war wie erwartet, darunter einige Dozenten aus den gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen und auch zwei Kollegen aus der Kunstgeschichte.
Nachdem ich das Plenum begrüßt und mich bei den Veranstalterinnen für die Einladung bedankt hatte, begann ich meinen Vortrag, während an die Wand hinter mir parallel Michelangelos Sterbender Sklave und Domenico Guidis Skulpturengruppe Andromeda und das Seeungeheuer projiziert waren.
»Das Thema der Fesselung menschlicher Körper beiderlei Geschlechts ist in der europäischen Kunstgeschichte in verschiedenen Motivtraditionen verwurzelt. Wir kennen Darstellungen antiker, in Ketten gelegter Sklaven ebenso wie entsprechende Szenen der griechischen Mythologie, wobei hier vor allem an die an den Felsen gekettete Andromeda in der Perseus-Sage und an den an den Kaukasus geschmiedeten Prometheus zu denken wäre. Aber auch in der christlichen Ikonographie finden wir Beispiele wie den gefesselten und von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian.«
Ich zeigte entsprechende Darstellungen des duldsamen Märtyrers von Andrea Mantegna und Tizian.
»Mitte des 19. Jahrhunderts begegnen uns vermehrt nackte, gefesselte Frauen in den stark exotisch und erotisch gefärbten Sklavenmarkt-Szenen der
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