In seiner Hand
einer Fata Morgana. Es schimmerte in der Luft, doch sowie ich hinlief, um danach zu greifen, löste es sich in Nichts auf.
Immerhin war ich bei Jo eingezogen. Es war gut möglich, dass Jo in der Annahme in Urlaub gefahren war, dass ich auf ihre Wohnung aufpassen und ihre Pflanzen gießen würde.
Mein Blick fiel auf den Stapel Post, den ich bereits auf Hinweise untersucht hatte. Da mir nichts Besseres einfiel, blätterte ich die Briefe erneut durch. Einer von Ihnen erregte meine Aufmerksamkeit. Es handelte sich um die Gasrechnung, die ich noch nicht bezahlt hatte, weil meine Ressourcen mittlerweile erschöpft waren. Der Umschlag wies eines jener transparenten Sichtfenster auf, durch die man die Adresse lesen kann. Als ich mir den Namen genauer ansah, stieß ich einen erstaunten kleinen Schrei aus: »Miss L.J. Hooper«, stand da. Wie in Trance zog ich Bens Karte heraus und wählte seine Handynummer. Er klang beschäftigt und ein wenig zerstreut, aber als er meine Stimme hörte, wurde sein Ton weicher. Ich musste lächeln. Es war mehr als das, ein warmes Gefühl durchströmte meinen ganzen Körper. Ich kam mir wie eine verliebte Vierzehnjährige vor. Konnte man auf eine derart alberne Weise in jemanden verliebt sein, mit dem man erst eine Nacht verbracht hatte?
»Wie lautet Jos erster Vorname?«
»Was?«
»Ich weiß, es ist eine blöde Frage, aber ich habe gerade eine ihrer Rechnungen vor mir liegen, und da ist mir eine Initiale aufgefallen, ein L. vor dem J. Wofür steht es?«
Ich hörte ihn am anderen Ende der Leitung leise lachen.
»Lauren«, antwortete er. »Wie Lauren Bacall. Die Leute haben sie deswegen immer aufgezogen.«
»Lauren«, wiederholte ich wie betäubt. Ich spürte, wie meine Beine zu zittern begannen, und musste mich an die Wand lehnen, um nicht zusammenzubrechen. »Kelly, Kath, Fran, Gail, Lauren.«
»Was?«
»Dieser Mann, er hat mir die Namen der Frauen genannt, die er bereits umgebracht hatte. Einer davon war Lauren.«
»Aber …« Er schwieg eine ganze Weile. »Es könnte sich um einen Zufall handeln …«
»Lauren? Der Name ist nicht gerade in den Top Ten.«
»Ich weiß nicht. Heutzutage sind recht seltsame Namen in den Top Ten. Außerdem hat sie den Namen nicht benutzt. Sie hat ihn gehasst.«
Ich murmelte etwas vor mich hin, das mehr für mich selbst gedacht war als für Ben.
»Entschuldige«, sagte ich, als er nachfragte, »ich habe nur gemeint, dass ich weiß, wie sie sich wahrscheinlich gefühlt hat. Vielleicht hat sie ihm diesen Namen genannt, weil sie darin eine Möglichkeit sah, sich nicht von ihm fertig machen zu lassen. Es war nicht die wirkliche Jo, die er erniedrigte und ängstigte, sondern ihr anderes, offizielles Ich.«
Nachdem ich das Gespräch mit Ben beendet hatte, zwang ich mich, mir seine Worte ins Gedächtnis zu rufen.
Was hatte er über Lauren gesagt? Kelly hatte geweint.
Gail hatte gebetet. Was hatte Lauren getan? Lauren hatte sich gewehrt. Lauren hatte nicht lange gelebt.
Bei dem Gedanken wurde mir übel. Nun wusste ich, dass sie tot war.
Der Ton von Jack Cross wurde nicht weicher, als er meine Stimme hörte. Eher düsterer. Er klang genervt.
»Oh, Abbie«, sagte er. »Wie geht es Ihnen?«
»Sie hieß Lauren«, stieß ich hervor. Ich musste mich sehr zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Was?«
»Jo. Ihr erster Vorname war Lauren. Erinnern Sie sich denn nicht? Lauren war auf der Liste der Frauen, die er bereits umgebracht hatte.«
»Das war mir entfallen.«
»Halten Sie das nicht für wichtig?«
»Ich werde es mir notieren.«
Ich erzählte ihm auch von der Kleidung, Jos Sachen, die ich angehabt hatte. Er wirkte nach wie vor skeptisch.
»Das muss nicht notwendigerweise etwas bedeuten«, meinte er. »Wie wir inzwischen wissen, haben Sie bereits vor Ihrem Verschwinden bei Jo gewohnt. Vielleicht haben Sie sich einfach etwas von ihr ausgeliehen?«
Ich blickte an mir hinunter, betrachtete einen Moment Jos graue Kordhose, ehe ich brüllte: »Mein Gott, welche Beweise brauchen Sie denn noch?«
Ich hörte ihn seufzen. »Abbie, Sie müssen mir glauben, dass ich auf Ihrer Seite bin. Gerade eben habe ich mir Ihre Akte angesehen und beschlossen, wieder einen meiner Männer darauf anzusetzen. Wir haben Sie nicht vergessen.
Doch um auf Ihre Frage zurückzukommen – ich brauche die Sorte von Beweisen, die auch jemanden überzeugen, der Ihnen nicht ohnehin schon glaubt.«
»Und die werden Sie verdammt noch mal auch bekommen«, gab ich zurück.
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