Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
ich keine Ahnung habe, wie du warst, wie wir beide waren. Was weißt du noch über mich? Woher soll ich wissen, dass du mir alles erzählt hast? Das kann ich nicht wissen. Du besitzt kleine Stücke meines Lebens. Das ist nicht richtig, oder?«
    »Nein.«
    »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
    »Tut mir Leid. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte«, antwortete er hilflos. »Ich wollte es dir sagen, aber was genau hätte ich sagen sollen?«
    »Die Wahrheit«, antwortete ich. »Das wäre zumindest ein guter Ausgangspunkt gewesen.«
    »Es tut mir Leid«, sagte er noch einmal.
    Sanft streichelte ich seine Brust. Bevor ich entführt und in einen Keller gesperrt worden war, war ich glücklich gewesen. Das hatten alle gesagt. Ich war glücklich gewesen, weil ich einen Mann verlassen hatte, der mich geschlagen hatte. Weil ich einen ungeliebten Job hingeworfen hatte. Und weil ich Ben begegnet war. Seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte mich die Vorstellung gequält, dass die Tage, die ich verloren hatte, Tage voller schöner Erinnerungen gewesen waren. Ich hatte genau die Stückchen verloren, die ich gern behalten hätte, und diejenigen behalten, auf die ich gern verzichtet hätte. Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, vielleicht waren es auch nur Bruchstücke von Gedanken. Sie hatten etwas damit zu tun, ja zum Leben zu sagen und nicht den Rest meiner Tage in Angst zu verbringen.
    Später nahmen wir gemeinsam ein Bad. Dann ging Ben hinunter und machte für uns beide Sandwiches. Er brachte sie auf einem Tablett nach oben, mit einer Flasche Rotwein. Ich saß im Bett, die Kissen im Rücken.
    »Ständig machst du mir etwas zu essen«, stellte ich fest.
    »Wir haben schon zusammen Austern gegessen.«
    »Wirklich? Ich liebe Austern.«
    »Ich weiß. Deswegen haben wir sie gegessen. Wir werden wieder welche essen.«
    Ich griff nach seiner Hand und küsste sie. »Demnach war es also ein Mittwochabend, richtig?«
    »Montag.«
    »Montag! Bist du sicher? Gleich nachdem wir uns kennen gelernt hatten?«
    »Genau.«
    Ich runzelte die Stirn.
    »Und du hast kein Kondom benutzt?«
    »Doch.«
    »Das verstehe ich jetzt nicht. Du hast doch gesagt …«
    »Du bist wiedergekommen.«
    »Am Mittwoch?«
    »Ja.«
    »Das hättest du mir sagen sollen!«
    »Ich weiß.«
    »Aber du hast nicht …«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«

    »Du bist aus einem spontanen Impuls heraus gekommen.
    Mit dem Baum. Wir hatten eigentlich vereinbart, uns erst am nächsten Abend – am Donnerstag – wiederzusehen, weil ich am Mittwoch Gäste hatte. Kunden. Sie waren schon da, als du an die Tür geklopft und mir den Baum überreicht hast. Ich habe dich geküsst.«
    »Und?«
    »Es wurde ein längerer Kuss daraus.«
    »Erzähl weiter.«
    »Du hast mein Hemd aufgeknöpft. Im Nebenraum konnten wir meine Gäste miteinander reden hören.«
    »Und?«
    »Wir sind ins Bad gegangen, haben die Tür zugesperrt und es miteinander getrieben.«
    »Im Stehen?«
    »Ja. Es hat ungefähr dreißig Sekunden gedauert.«
    »Das musst du mir zeigen«, sagte ich.

    Ich blieb die Nacht bei Ben. Ich schlief tief und fest, und als ich am Morgen aufwachte, duftete es nach Kaffee und Toast. Durch die Vorhänge lugte ein blauer Himmel herein. Mein plötzliches Glück machte mir fast ein bisschen Angst. Es war, als läge der Frühling schon in der Luft.

    19
    Wir verspeisten unseren Frühstückstoast im Bett. Obwohl Krümel auf dem Laken landeten, schien sich Ben recht behaglich zu fühlen, als er in seine Kissen zurücksank und sich die Bettdecke bis unters Kinn zog.
    »Musst du denn nicht zur Arbeit?«, fragte ich ihn.
    Er beugte sich über mich, um einen Blick auf seinen Wecker zu werfen. Seltsam, wie schnell man sich neben einem anderen Körper wohl fühlte.
    »In achtzehn Minuten«, meinte er.
    »Schaffst du das überhaupt noch?«
    »Ich bin schon viel zu spät dran. Noch dazu habe ich heute einen Termin. Der Kunde ist extra aus Amsterdam angereist. Wenn ich nicht bereitstehe, wenn er kommt, bin ich nicht nur unpünktlich, sondern auch noch extrem unhöflich.«
    Ich küsste ihn.
    »Du musst damit aufhören«, meinte er. »Sonst kann ich mich einfach nicht losreißen.«
    »Weißt du, wenn ich du wäre und du ich«, sagte ich im Flüsterton, weil sich unsere Gesichter fast berührten,
    »dann würde ich dich für komplett verrückt halten. Oder mich selbst. Wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Jetzt hast du mich in der Tat ein bisschen verwirrt.«
    »Mal angenommen, ein Mann,

Weitere Kostenlose Bücher