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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Schwänzen
    … Wieder hörte ich dieses seltsame Geräusch. Der Gedanke an die Ratten ließ mich einen Moment zögern, doch ich schob das Tor auf und trat ein.
    Nachdem sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich schemenhafte Umrisse ausmachen: Strohballen, die am einen Ende des Raums aufgerichtet waren, ganz in meiner Nähe eine Maschine, vermutlich ein alter Pflug. Am anderen Ende etwas Undefinierbares. Was war das? Langsam schlich ich mich vorwärts. Hinter mir fiel das Tor knarrend ins Schloss, und ich streckte die Hände aus. Unter meinen Füßen spürte ich jetzt feuchtes Stroh.
    »Hallo«, sagte ich noch einmal. Meine Stimme klang dünn und zittrig. Inzwischen hatte ich einen scharfen Geruch in der Nase – den Geruch von Kot und Urin.
    »Ich bin da«, sagte ich. »Ich bin da.« Ich ging noch ein paar Schritte weiter, obwohl in meiner Brust ein Felsbrocken aus Angst saß, der meine Beine fast einknicken ließ. »Jo?«, fragte ich. »Jo? Ich bin’s, Abbie.«
    Sie saß auf ein paar Strohballen am hinteren Ende des Gebäudes, von dem sie sich nur als dunkler Fleck abhob.
    Ich tastete nach ihr: schmale Schultern unter meinen Händen. Sie roch ranzig – nach Angst und Kot und altem Schweiß. Ich ließ meine Hände nach oben gleiten, spürte den rauen Stoff, wo eigentlich ihr Gesicht sein sollte. Sie stieß durch den Stoff kleine Geräusche aus, und ihr Körper zuckte unter meiner Berührung zusammen. Als ich die Hand an ihren Hals legte, spürte ich den Draht. Vorsichtig tastete ich mich an ihrem Rücken hinunter, bis ich auf das steife, kalte Seil stieß, das um ihre Handgelenke gebunden war und von dort zur Wand hinter ihr führte. Als ich daran zog, spannte es sich, gab aber nicht nach. Sie war angebunden wie ein Pferd.
    »Schsch!«, murmelte ich. »Ist ja gut!« Aus ihrem verhüllten Gesicht drang ein hohes Geräusch. »Beweg dich nicht, bleib ganz ruhig. Ich mache das. Ich werde dich retten. O bitte, bitte, halt still!«

    Ich zerrte an der Kapuze. Meine Finger zitterten so heftig, dass ich es erst nicht schaffte, doch schließlich gelang es mir, sie ihr vom Kopf zu ziehen. In der Dunkelheit konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, und ihr Haar war nur ein fettiges Wirrwarr unter meinen Fingern.
    Ihre eisigen Wangen waren tränennass. Sie stieß immer noch diese hohen, schrillen Geräusche aus, wie ein Tier, das in einer Falle festsaß.
    »Schsch!«, zischte ich. »Sei still, bitte, nicht schreien!
    Ich tu ja, was ich kann!«
    Danach befreite ich sie von dem Draht um ihren Hals. Er schien an der Decke befestigt zu sein, weshalb sie den Kopf nach hinten legen musste. Da ich nicht sehen konnte, was ich tat, dauerte es eine Ewigkeit, und ich drehte erst in die falsche Richtung, so dass die Schlinge noch enger wurde. Ich spürte das heftige Pulsieren ihrer Halsschlagader. Immer wieder flüsterte ich ihr zu, dass alles gut werden würde, doch wir konnten beide das Entsetzen in meiner Stimme hören.
    Ihre Fußgelenke waren ebenfalls zusammengebunden, das restliche Seil immer wieder um ihre Waden geschlungen, bis hinauf zu den Knien. Diesmal aber ging es leichter, als ich erwartet hatte. Bald waren ihre Beine frei, und sie trat um sich wie eine Ertrinkende, die versuchte, um jeden Preis an die Wasseroberfläche zu gelangen. Ihr linker Fuß stieß in meinen Bauch, ihr rechter traf mich am Arm. Ich warf meine Arme wie ein Rugbyspieler um ihre Knie und hielt sie fest.
    »Bleib ganz still sitzen!«, flehte ich. »Ich tu wirklich mein Bestes!«
    Als Nächstes tastete ich den Knoten hinter ihrem Rücken ab. Soweit ich das beurteilen konnte, saß er extrem fest.
    Ich zog und zerrte vergeblich daran, konnte auch mit meinen Fingernägeln nichts ausrichten. Schließlich kniete ich mich hinter sie und bohrte meine Zähne in das Seil, das stark nach Öl schmeckte. Ich erinnerte mich an den Ölgeschmack, und ich erinnerte mich auch an den Geruch nach Exkrementen, der den Raum und meine Lungen erfüllte. Und an den Geruch der Angst. Daran, wie mein Herz gegen meine Rippen schlug und ich keuchend nach Luft rang, die Galle in meinem Hals hochstieg und alles rundherum finster war …
    »Moment«, keuchte ich. »Ich versuche es vom anderen Ende. Keine Angst, ich lasse dich nicht allein. Bitte, bitte, bitte, hör auf, dieses Geräusch zu machen!«
    Ich folgte dem Seil von ihren Handgelenken bis zur Wand, wo es offenbar an einem Metallhaken befestigt war. Wenn ich nur etwas sehen könnte. Ich wühlte in meiner

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