Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Tasche, in der Hoffnung, dort wie durch ein Wunder Zündhölzer zu finden, oder ein Feuerzeug, irgendetwas. Das Einzige, was ich fand, war mein alter Autoschlüssel. Ich stieß die Spitze des Schlüssels in den dicken Knoten, grub sie so tief wie möglich hinein und bewegte sie hin und her, bis ich spürte, dass das Seil ein wenig nachgab. Meine Finger waren vor Kälte ganz steif.
    Einmal ließ ich den Schlüssel fallen, so dass ich zwischen dem Stroh auf dem Boden herumkriechen und den rauen Untergrund nach dem Schlüssel abtasten musste. Sie fing wieder an, durch ihren Knebel gedämpfte Schreie auszustoßen, und richtete sich halb auf, ehe sie auf den Strohballen zusammenbrach.
    »Halt den Mund!«, zischte ich. »Halt den Mund, halt den Mund, halt den Mund! Zerr nicht so an dem Seil, dadurch ziehst du den Knoten doch wieder fest! Halt still! Lass das Seil durchhängen. O Gott! Bitte, bitte, bitte!«
    Ich mühte mich weiter mit dem Schlüssel ab, spürte, wie sich der Knoten lockerte, aber o Gott, es dauerte so lange!

    Mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass ich einfach weglaufen konnte.
    Schnell! Lauf, Abbie, und hol Hilfe! Warum rannte ich nicht auf die Straße hinaus und schrie kreischend nach Hilfe? Ich konnte an sämtliche Türen hämmern und jeden Wagen anhalten. Ich musste sofort hier raus. Ich durfte auf gar keinen Fall hierbleiben. Das Seil gab weiter nach.
    »Fast!« keuchte ich. »Ein paar Minuten noch, dann bist du frei. Schsch, sei bitte still!«
    Geschafft! Ich richtete mich auf, zerrte ihr den Knebel aus dem Mund. Sie stieß ein schreckliches, heulendes Geräusch aus.
    »Jo?«, flüsterte ich. »Bist du Jo?«
    »Ich bin Sarah. Sarah. Hilf mir! Bitte hilf mir! O Gott, o Gott, o Gott!«
    Mir wurde vor Enttäuschung ganz flau, doch dafür war jetzt keine Zeit. Keine Zeit für etwas anderes außer Flucht.
    »Steh auf!«, sagte ich und packte sie am Unterarm.
    Sie richtete sich halb auf, war aber so schwach, dass sie sich auf mich stützen musste.
    »Still! Was ist das?«, keuchte ich.
    Draußen war jemand. Auf dem Hof waren Schritte zu hören. In einiger Entfernung klackte etwas Metallenes, Ich stieß Sarah zurück auf die Strohballen, stopfte ihr den Knebel wieder in den Mund. Sie stieß ein gurgelndes Geräusch aus und begann sich schwach zu wehren.
    »Sarah! Das ist unsere einzige Chance! Lass mich machen. Lass mich einfach machen. Ich bin hier, Sarah.
    Ich werde dich retten? Okay?«
    Ihre Augen flackerten vor Entsetzen. Ich tastete nach dem Draht, der wie ein überdimensionaler Spinnenfaden über mir hing, und legte ihn ihr wieder um den Hals, zog die Schlinge enger. Die Schritte kamen näher. Hektisch wickelte ich ihr das Seil um die Beine. Die Handgelenke.
    Ich musste das Seilende finden. Ich beugte mich hinunter und ließ die Hände über den rauen Boden gleiten, bis ich es hatte. Die Schritte kamen immer näher. Ein pfeifendes Husten. Tief unten in meinem Hals brannte ein Schrei, aber ich schluckte ihn hinunter. Übelkeit. Pochendes Blut in meinen Ohren. Ich tastete erst den Boden und dann die Strohballen neben Sarahs zitternder Gestalt nach der Kapuze ab. Als ich sie endlich fand, zerrte ich sie ihr grob über den Kopf, spürte ihren Hals zurückzucken.
    »Bleib ganz ruhig!«, zischte ich, ehe ich mich auf die andere Seite des Raums warf, hinter etwas Metallenes, an dem ich mir heftig das Schienbein anstieß. Mein Herz veranstaltete einen Trommelwirbel, den er garantiert hören würde, meine Atemgeräusche kamen mir wie laute Schluchzer vor, die er zwangsläufig registrieren musste, sobald er den Riegel hochgeschoben hatte, das Tor aufmachte und hereinkam.

    28
    Ich hatte mich rechts hinten in die Ecke zurückgezogen, möglichst weit vom Tor entfernt. Ich stand tief im Schatten, hinter einer undefinierbaren, vor sich hin rostenden Maschine, einer Ansammlung von Zahnrädern und Bolzen, die jedoch nicht miteinander verbunden waren. Selbst wenn er in meine Richtung blickte, würde er mich wahrscheinlich nicht sehen können. Wahrscheinlich.
    Das war das problematische Wort. Ich wich so weit zurück, wie ich nur konnte. Ich spürte die eisige Feuchtigkeit der Wand an meinem Hals und durch mein kurzes Haar auch an meiner Kopfhaut. Inzwischen hatte er den Raum betreten. Ich hatte ihn durch Zufall gefunden.
    Mit einer Mischung aus Schwindelgefühl und Übelkeit stürzte ich zurück in meinen Alptraum.
    Als es mir schließlich gelang, einen Blick auf ihn zu

Weitere Kostenlose Bücher