In sueßer Ruh
ist nicht wirklich über dich hinweg, oder?«
Lee hob kapitulierend die Hände. Er bereute seine Entscheidung, in Chucks Büro gekommen zu sein, aber das mögliche Ende ihrer Freundschaft war so schmerzhaft und vielleicht überflüssig. Er wusste, wenn nicht er die Initiative ergriff, die Situation anzusprechen, war es unwahrscheinlich, dass Morton das tun würde. Er hatte einen Hintergrund, in dem Verdrängung eine größere Rolle spielte, als dies bei Lee der Fall war, und seine Persönlichkeit war von Natur aus zurückhaltender, als gut war. Chuck war der klassische Ausweicher, etwas, das Lee nur zu gut verstand.
»Chuck, es hat nichts zu tun mit –«
»Beantworte mir nur eine Frage, und kein Scheiß«, sagte Morton und starrte weiter auf den Schreibtisch.
»In Ordnung.«
Chuck stand auf und sah aus dem Fenster. Noch immer vermied er den Blickkontakt. »Damals in Princeton, als ihr zwei … wer hat da mit wem Schluss gemacht?«
»Ich habe dir erzählt –«
Chuck wirbelte herum und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Ich sagte: kein Scheiß!«
Lee schluckte. Die Wände des Zimmers rückten näher. Wieder breitete er kapitulierend die Hände aus. »Sieh mal, Chuck, es ist kompliziert.« Die Worte waren hohl, ein Versuch, etwas in Ordnung zu bringen, das nicht in Ordnung zu bringen war.
Chuck ließ sich schwer auf seinen Sessel fallen. »Richtig«, sagte er leise. »Sie zahlt es dir heim. Sie wollte, dass ich reinplatze und es sehe. Sie verarscht uns alle beide!«
»Sie liebt dich – das solltest du wissen.«
Chuck stieß ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Wie in dem Song What’s Love Got to Do with It von Tina Turner – was hat denn Liebe damit zu tun?«
»Zieh keine voreiligen Schlüsse, Chuck –«
Chuck schüttelte den Kopf und lachte wieder – ein harter, verzweifelter Laut. »Oh, das tue ich nicht, keine Sorge. All die Jahre habe ich versucht zu glauben, habe ich glauben wollen – glauben sollen –, dass sie mich genauso liebt wie ich sie. Und weiß Gott, ich habe sie geliebt, liebe sie noch. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber so läuft’s nicht, oder?«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Chuck, ich –«
»Nein, ist schon in Ordnung – wirklich. Wurde Zeit, dass ich den Tatsachen ins Auge sehe. Seit Jahren habe ich Anzeichen ignoriert – kleine Flirts, eigenartige Blicke von Männern, wütende von Frauen, alles Mögliche. Aber ich war ein verliebter Narr, und du weißt, was man über den sagt.«
»Schau, Chuck, ich –«
»Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen. Himmel, Lee, das ist eines der Mittel, mit denen sie mich unter Kontrolle hält. Ich war so eifersüchtig, dass ich kurz davor war, dir an die Kehle zu gehen, weil ich dachte – ja, weil ich dachte, du wärst derjenige, der sich heimlich nach ihr verzehrt. Was bin ich doch bloß für ein Trottel, wie?«
Lee hasste es, seinen Freund so zu sehen. Es war beschämend, und er wusste, morgen würde Chuck sie alle beide dafür hassen, dass er Zeuge davon geworden war. Zum Teufel, er könnte sogar seine Meinung über Susan ändern – es stand zu viel auf dem Spiel, wenn er ihr den Laufpass gab, wegen seines Berufs, der zwei Kinder und des Hauses in Glen Ridge. Er war in seinem Lebensstil gefangen wie der Passagier eines Todesflugs. Hilflos würde er zu Boden gehen, ohne etwas dagegen tun zu können.
Chuck rieb sich die Schläfen, als hätte er schlimmste Migräne.
»Ich dachte immer, selbst wenn sie nicht das Gleiche für mich empfindet, würde meine Liebe für uns beide reichen. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
»Triff heute Abend keine übereilten Entscheidungen, okay? Schlaf drüber und schau, wie es sich morgen anfühlt.« Die Worte fühlten sich leer an, so hohl wie die Stelle in seiner Brust, wo einmal sein Herz gewesen war. In den letzten Tagen hatte ihn eine Art dumpfer Gefühllosigkeit überkommen. Eigentlich begrüßte er sie, sie war jedenfalls besser als die Alternative: lähmende Depression und Angst. Er wollte mit Chuck darüber sprechen, was mit ihm und Kathy passiert war, aber dieser Weg war jetzt verbaut. Morton hatte sein eigenes Päckchen zu tragen. Lee kam es so vor, dass alles, worauf er sich in den letzten Monaten gestützt hatte, in sich zusammenfiel und ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.
»Himmel, vielleicht liegt es ja an mir, Lee. Vielleicht fühle ich mich einfach zur falschen Art Frau hingezogen.«
Lee enthielt sich einer Antwort. Was er auch sagte – jede
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