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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Antwort würde sich falsch anhören. Chuck klang allerdings so elend, dass er sich gezwungen sah, etwas zu sagen.
    »Diese Dinge sind doch keine Frage von Schuld.«
    »Irre ich mich, was sie angeht? Ist sie wirklich so schlecht, oder spricht aus mir nur die Eifersucht? Ich habe mich so wahnsinnig bemüht, nicht besitzergreifend zu sein, aber manchmal kommt es mir so vor, dass, je mehr ich es versuche, desto mehr … ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich jeden widerlichen Typen, der auch nur ihren Ellbogen berührt, am liebsten umbringen möchte.« Er sackte auf seinem Sessel zusammen und legte das Gesicht in die Hände. »Aber wie stellt man ab, jemanden zu brauchen – mal eben so über Nacht?«
    Darauf hatte er eine Antwort. »Das kann man nicht.«
    Es gab keine Klarheit, und es gab keine Erlösung. Alles war ein gewaltiges, schwieriges Durcheinander, diese Sache mit den menschlichen Beziehungen und Gefühlen – eine Gemengelage, die aus dem Besten und dem Schlechtesten unserer Natur bestand. Liebe und Hass sind für immer untrennbar miteinander verbunden. Je näher wir einem anderen Menschen kommen, je mehr wir ihn lieben, desto mehr Gelegenheit geben wir dem Hass, uns seine Krallen in den Rücken zu schlagen, wenn wir nicht hinsehen. Der Brunnen war immer vergiftet. Es ging nur um die Frage der Konzentration, die wir verkraften. Die Definition von Gift war im Grunde genommen eine Frage der Dosierung, wie Ivana Jankovic gesagt hatte.
    Er sah in Chucks mitgenommenes Gesicht. »Komm«, sagte er. »Wir gehen irgendwo hin und betrinken uns.«

KAPITEL 68
    Sie schafften es, in der heruntergekommensten Kneipe des ganzen Stadtbezirks zu landen, einem Laden, den nicht mal Kakerlaken beehren würden, aus Angst, was sie sich dort einfangen könnten. Er war kein Treffpunkt für Polizisten und, wie es aussah, höchstens das Stammlokal von Anwohnern, die das Glück verlassen hatte und die sich dort mit Gin abfüllten. Ein paar traurige Säufer hockten auf schäbigen kunststoffbezogenen Stühlen und tranken billigen Fusel. Sie wurden wachsam beäugt von der mürrischen Thekenkraft, die Lee für die Besitzerin hielt, eine dicke Frau mit Haaren von zweifelhaftem Blond und billigen baumelnden Ohrringen. Die mit Kunstholzpaneelen verkleideten Wände stanken nach Rauch, und der Fußboden klebte.
    Chuck und er betranken sich nicht einfach, sie besoffen sich. Es flossen Tränen, Gläser wurden geleert, gefüllt und noch mal gefüllt, und am Ende der drei Stunden hatten sie zwar nichts gelöst, aber es fühlte sich besser an. Ihre Freundschaft hatte mehr oder weniger unbeschädigt überstanden, Lee wusste jedoch nicht, ob das auch für Chucks Ehe galt. Sein Freund glich einer unglückseligen Fliege in einem Spinnennetz – je mehr sie sich wehrte, desto enger schloss es sich um ihn.
    Seite an Seite schwankten sie in die milde Herbstnacht hinaus, genau wie in den alten Zeiten ihrer Kneipentouren durch die Nassau Street – nur dass heute Alter und Verantwortungen stärker auf ihnen lasteten. Doch trotz allem, was geschehen war und noch geschehen würde, empfand Lee den Sog der Nostalgie, als er den benebelten Blick im Gesicht seines Freundes sah. Die College-Zeit, dieser kurze, intensive und durch nichts zu ersetzende Lebensabschnitt, war etwas Einmaliges. Er war froh, dass es Susan nicht gelungen war, zwischen ihm und Chuck ein Zerwürfnis herbeizuführen, das sich nicht mehr kitten ließ. Aber er hatte den Verdacht, dass sie nicht vorhatte, es nicht weiter zu versuchen.
    Er setzte Chuck in ein Taxi, damit er einen Bus zurück nach New Jersey erreichte, und stieg für seine eigene lange Heimfahrt taumelnd in die U-Bahn. Irgendwann döste er ein und wachte von einer Stimme auf, die als nächsten Halt Wall Street ankündigte. Er hatte Astor Place verpasst und war sechs Stationen zu weit gefahren. Statt auf einen Zug in die Gegenrichtung zu warten, beschloss er, zu Fuß zurückzugehen. Das gab ihm die Möglichkeit, wieder nüchtern zu werden, und gleichzeitig konnte er sich einer seiner Lieblingsbeschäftigungen hingeben: durch die dunklen Straßen der Stadt zu laufen.
    Er ging zunächst Richtung Uptown, steuerte dann jedoch spontan den East River an. Über die John Street lief er bis ans Ufer, dann nach Norden am South Street Seaport mit seinen restaurierten Gebäuden im Federal Style und Durchgängen mit Kopfsteinpflaster entlang und vorbei am Fulton Fish Market. In ein paar Stunden würde er aufmachen, und die schrillen Schreie von

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