In sueßer Ruh
dachte Lee. Ihre Stimmen waren angespannt und ihr Blick wachsam. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. So viel konnte schiefgehen – andererseits war bisher schon so viel schiefgegangen, dass es vermutlich albern war, sich Sorgen zu machen. Allerdings war Troy weit weg von ihrem Heimatstandort und unbekanntes Terrain für sie. Er selbst war erst einmal da gewesen beziehungsweise durchgefahren. Sollten sie dort auf den Killer stoßen, konnte er nur hoffen, dass er sich dort außerhalb des Bereichs befand, in dem er sich sicher fühlte. Aber es würde Nacht sein – wenn Vampire ganz in ihrem Element waren.
KAPITEL 66
François Nugent loggte sich aus dem Chatroom aus und schaltete den Computer ab. Es war ein bescheuerter Spitzname, doch er hatte ihn ausgewählt, um sich Selbstvertrauen zu verleihen. Außerdem liebte er die archaische Schreibweise: VampyrHunter – Vampirjäger. Ausgefallen genug, um singulär zu sein, aber gleichzeitig absolut auf Wellenlänge der Steampunk- SZENE. ER STAND VOM SCHREIBTISCH AUF UND SCHOB EINE CD IN den Player seiner teuren Stereoanlage. Das Teil hatte seine Eltern ein paar Tausender ärmer gemacht, was ihnen allerdings egal war. Für ihren einzigen Sohn war das Beste gerade gut genug. Außer ihre Zeit natürlich; das war dann doch zu viel verlangt. Die war besser angelegt in die Rettung dürrer Waisenkinder in irgendwelchen gottverlassenen Winkeln Afrikas. Schön, prima. Wenn es so war, dann war’s eben so. Er lastete ihnen den Tod seiner Schwester mehr an als sich selbst, denn es kam ihm so vor, dass sie noch leben würde, wenn sie da gewesen wären. Das war vielleicht irrational, aber es juckte ihn nicht.
Er fuhr mit dem Finger über das schwarz glänzende Gehäuse des Bose-Verstärkers, und eine dünne Staubschicht blieb daran hängen. Flossie hatte sein Zimmer schon eine ganze Weile nicht zum Saubermachen betreten dürfen. Er wollte nicht, dass jemand in seinen Sachen rumschnüffelte, nicht mal Flossie. Er hatte Wichtiges zu erledigen und konnte nicht brauchen, dass sie Fragen stellte. Er drückte auf die Wiedergabetaste, warf sich aufs Bett und ließ sich von der Musik einlullen.
The youth that time destroyed can live in me again
But I require blood – the time is coming when
I’ll come to you at night, as the owl hoots at the moon
I’ll be by your side to watch as you swoon
Der Song war in der Steampunk-Szene ziemlich bekannt, klar, aber vor allem war es der Song eines Vampirs. François brauchte ihn, um sich in Stimmung zu bringen für das, was er vorhatte. Er starrte an die Decke und beobachtete, wie eine kleine graue Spinne sich zu einer unglücklichen Fliege vorarbeitete, die sich in ihrem klebrigen Netz verfangen hatte. Er fragte sich, wie es wäre, diese Fliege zu sein und hilflos zuzusehen, wie ihr Mörder Zentimeter um Zentimeter näher kam. Er stierte die Fliege an, die sich erfolglos zu befreien versuchte … hatten auch Fliegen eine solche Form von Bewusstsein? Er hoffte nicht. Sonst wäre so ein Tod ja eine Höllenqual. Vielleicht kämpfte das Insekt aber auch nur aus einem tief verwurzelten Überlebensinstinkt heraus. Kurz erwog er, die Fliege zu befreien, entschied sich jedoch dagegen. Schließlich mussten auch Spinnen fressen, und was der Fliege helfen mochte, war wenig fair der Spinne gegenüber. Er wandte den Blick ab und dachte über seinen nächsten Schritt nach. Bis zum Ball waren es nur noch ein paar Tage, und dann würde er handeln. Er würde sich heimlich davonmachen und keinem sagen, wohin er ging, nicht mal Flossie. Nein, vor allem ihr nicht. Sie war zurzeit so besorgt um ihn, er sah es an ihrem Blick. Es tat ihm weh, sie zu beunruhigen, weil er spürte, dass sie der einzige Mensch war, der ihn jemals wirklich geliebt hatte. Das strahlte sie auf eine Weise aus, die ihm etwas bedeutete. Aber er hatte eine Aufgabe zu erledigen, und davon konnte er keinem erzählen.
Oben an der Decke hatte die Spinne ihre Gefangene erreicht und impfte sie mit ihrem Gift. Die Fliege gab ihren Kampf auf, als es ihren winzigen Körper überflutete, und die Spinne war bereit, ein weiteres Mahl zu genießen.
KAPITEL 67
Chuck Morton starrte auf seinen Schreibtisch und fuhr über den gläsernen Briefbeschwerer mit dem Schmetterling, den sein Sohn gebastelt hatte.
Seine Miene war unbewegt, der Kiefer angespannt. Er hatte sich vorgenommen, keine Gefühle zu zeigen – was in der Regel hieß, dass er zu viele empfand. Er sprach ruhig und ohne aufzusehen.
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher