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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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wir so weit sind«, rief ihm seine Mutter hinterher, als er Sergeant Ruggles in den Empfangsbereich folgte.
    »Schön«, sagte Elena Krieger zu den Nugents. »Wollen wir?«
    Widerstandslos gingen sie hinter ihr her und ließen Chuck und Lee alleine im Büro zurück.
    »Diesen Teil des Jobs hasse ich.«
    »Tja«, stimmte Lee ihm zu, »das tut, glaube ich, jeder.«
    »Stimmt«, sagte Chuck. »Man müsste schon ein echter Dreckskerl sein, dass einem das Spaß macht.« Er nahm eine Faltmappe mit Fundortfotos zur Hand und ließ sie wieder auf den Schreibtisch fallen. Dann lehnte er sich in seinem Schreibtischsessel zurück und streckte seinen langen, schlanken Körper. Er wirkte fast noch dünner als in ihrer Zeit als Zimmergenossen in Princeton. Chuck aß gern, nähme er aber auch nur zehn Gramm zu, würde Susan ihn, da hatte Lee keinerlei Zweifel, auf Nulldiät setzen. »Was haben wir hier vor uns, Lee?«, sagte er. »Was für eine Art Kerl macht so was?«
    »Ich denke mal, es liegt auf der Hand festzustellen, dass er schwer gestört ist.«
    »Was ist sein Motiv? Ein sexuelles?«
    »Das ist sicherlich ein Element – aber es ist komplizierter.«
    Chuck strich leicht über den gläsernen Briefbeschwerer auf seinem Schreibtisch. Die goldfarbenen Flügel des darin eingeschlossenen Schmetterlings reflektierten schwach im Septemberlicht. »Ist es das nicht immer?«
    »Aber dieses Mal ist es wirklich eigenartig. Einerseits ist das Verbrechen so bizarr, andererseits aber perfekt durchorganisiert.«
    »Wie meinst du das?«
    Lee setzte sich Chuck gegenüber und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch. Vor dem Fenster plusterte der Täuberich seine grauen und weißen Federn auf und wölbte für das Weibchen den Hals, das jedoch unbeeindruckt blieb und träge an einem Stück Brotrinde auf dem Fenstersims herumpickte.
    »Jemandem tatsächlich das Blut abzulassen ist so extrem. Etwas Derartiges würde man von einem voll ausgeprägten Psychotiker erwarten.«
    »Aber –«
    »Aber Psychotiker sind tendenziell nicht planvoll und organisiert. Darin besteht ja genau die Eigenart ihres Zustands, dass es ihnen schwerfällt, im Alltag zu funktionieren – ganz zu schweigen von Extremsituationen.«
    »Mit anderen Worten: Das, was ihn ticken lässt, sollte ihn eigentlich daran hindern, etwas reibungslos hinzukriegen.«
    »Genau. Was er getan hat, erfordert erstaunlich viel Planung, Kontrolle und Organisation. Und trotzdem: Wer außer einem wahnhaften Irren sollte überhaupt den Impuls dazu haben?«
    Chuck starrte aus dem Fenster auf die Tauben auf dem Sims. »Manchmal frage ich mich, was zum Teufel die Leute überhaupt zu dem treibt, was sie tun.«
    Draußen rückte das Männchen dem Weibchen immer näher.
    Der Täuberich packte die Taube mit seinem spitzen Schnabel im Nacken, drückte sie gegen die Oberfläche der Klimaanlage und zwängte sich auf sie. Unter hektischem Flügelschlagen und Federgestöber war der Kampf in Sekundenschnelle vorbei.

KAPITEL 13
    Das Gerichtsmedizinische Institut war in einem jener sterilen, absolut charakterlosen Behördenbauten untergebracht, wie sie in den Sechzigerjahren verbreitet waren. Es war die Art Gebäude, das jegliche Vorstellung von Anmut und Stil in seiner unmittelbaren Umgebung aufsog. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich das Bellevue, heutzutage eine erfolgreiche Universitätsklinik, an deren ehrwürdige Seiten sich zahlreiche moderne Flügel anschlossen. Diese Anbauten ragten in ein Sammelsurium verschiedener Baustile, die wie Pilze rund um das Hauptgebäude sprossen, das ein eindrucksvoller, gravitätischer Backsteinbau war, unnachsichtig und streng wie ein Richter. Gegen Norden hin, auf der East 13th Street, stand die verwaiste Hülle des alten Bellevue-Krankenhauses, das inzwischen ein Obdachlosenasyl war.
    Lee und Butts nahmen den knarrenden Aufzug hinunter zur Toxikologie, die passenderweise im Keller lag. Lee konnte nur raten, wie viele Körper aufgebläht, blutig, verletzt oder verprügelt in den Gefrierkammern auf die Autopsie warteten. Dabei wurden ihnen Leber, Milz oder Magen entnommen, in Scheiben geschnitten oder zerkleinert, bevor es weiter zu den Pathologen, Genetikern oder Toxikologen ging, wo alles katalogisiert und in Behältnisse gepackt und gefüllt wurde. Ihre letzte physische Existenz auf Erden bestand schließlich aus ein paar Gramm grauer, faulig stinkender, breiiger Flüssigkeit in einem Laborfläschchen. Die organischen Indizien, die Gewalt hinterließ,

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