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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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den Namen des Medikaments kannte, weil er es selbst genommen hatte?
    »Woher haben Sie das gewusst?«, fragte Butts, aber Lee sah ihn nur wütend an.
    »Wie lange würde es dauern, bis das Mittel zu Bewusstlosigkeit führt?«, wollte Lee wissen.
    Sie nahm die Brille ab und legte sie auf den Schreibtisch. »Im Allgemeinen entfaltet das Medikament seine maximale Wirkung irgendwo zwischen ein bis zwei Stunden nach der Einnahme.«
    »Dann hat er also einige Zeit mit ihr verbracht«, überlegte Lee.
    »Wie bitte?«, meldete sich Butts.
    »Na ja, zuerst musste er sie dazu bringen, das Medikament zu nehmen. Und dann war er mindestens eine Stunde mit ihr zusammen, bis sie ohnmächtig wurde.«
    »Ach so, klar.« Butts kratzte sich geistesabwesend am Kinn, das um diese Tageszeit schon ziemlich stoppelig war.
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte Dr. Jankovic und schälte ihre kurvenreiche Figur aus dem Schreibtischsessel.
    »Nein danke – Sie haben uns sehr geholfen«, sagte Butts. »Das wissen wir zu schätzen.«
    »Viel Glück, Detectives«, meinte sie und begleitete sie zur Tür. »Ich hoffe wirklich, dass Sie ihn bald schnappen.«

KAPITEL 14
    Das große Haus war still – viel zu still für einen Sonntagmorgen. Auf Zehenspitzen schlich Davey aus seinem Schlafzimmer durch den Flur, vorbei am Zimmer seiner Schwester. Er hatte Angst hineinzuschauen, aus Furcht, was er dort möglicherweise sah. Doch als er daran vorbeikam, blieb er stehen, um den Duft der Lilien einzuatmen, die in der großen roten Vase auf dem Tisch im Flur standen. Der runde, schräg an der Wand hängende Spiegel darüber befand sich direkt gegenüber der Schlafzimmertür seiner Schwester, und er konnte es nicht lassen hineinzuspähen. Er hatte erwartet, Edwinas schmächtige, abgemagerte Gestalt in dem großen Himmelbett zu sehen, aber zu seiner Überraschung war das Bett leer. Es gab nicht nur die geringste Spur von ihr, auch das Bett war gemacht und die Decken ordentlich bis ans schwere Eichenkopfteil hochgezogen.
    Der Anblick versetzte seinem Herzen einen angstvollen Stich. Wo war Edwina? Vielleicht beim Arzt? Aber das war Quatsch, schließlich machte der Doktor zurzeit immer Hausbesuche, bei denen er Davey mit seinem Stethoskop drohte, wenn er zu nah herankam. Davey konnte Dr. Jennings nicht leiden. Er war alt und taub, und ihm wuchsen riesige graue Haarbüschel aus den Ohren, was Davey eklig fand. Er schwor sich, dass er, sollte er selbst je ein alter Mann werden, dem Haare aus den Ohren wuchsen, sich jedes einzeln ausreißen würde, und wenn ihm dabei die Ohren bluteten.
    Während er dort stand, konnte er das Ticken der Standuhr am Ende des Flurs hören, gleichmäßig wie ein Metronom markierten ihre unerbittlichen Scheiben und Zahnräder die verstreichenden Sekunden. Tick tack, tick tack, tick … Und dann hörte er noch etwas. Es kam aus der Küche, ruhig und gleichmäßig wie laufendes Wasser. Er machte ein paar Schritte über den Flur zur Treppe hin, blieb oben am Absatz stehen und lauschte, die Hand am glatten Ahorngeländer.
    Das Geräusch war Weinen. Das leise und stetige Weinen einer Frau. Es war der traurigste Laut, den er jemals gehört hatte. Er geriet in Panik, als er sich langsam die Stufen hinunterwagte, angetrieben von Neugier, dabei zugleich so verängstigt, dass ihm die Knie schlotterten und er meinte, jeden Moment umzukippen. Dann war er im Erdgeschoss, das Wohnzimmer zu seiner Rechten, die Küche zu seiner Linken. Kein Zweifel, der Laut kam aus der Küche. Er schlich sich an die Tür, verharrte dort und starrte sie an, bevor er sie aufmachte. Ihm zitterte die Hand dabei, und auf seinen Handflächen bildete sich Schweiß.
    Drinnen in einer Ecke der Küche saß seine Mutter. Daneben Tante Rosa, seine Lieblingstante. Ihr langes rotbraunes Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Seine Mutter weinte, und Tante Rosa hatte die Arme um sie geschlungen und sie an sich gedrückt. Als die Tür knarrend aufging, schaute seine Tante auf und sah ihn. Den Ausdruck auf ihrem Gesicht würde er niemals vergessen: eine Mischung aus Bedauern, Schmerz und Mitleid und – außerdem schien sie ihn warnen zu wollen.
    Die Botschaft ihres Blicks war eindeutig: Komm hier nicht rein. Er nickte und trat von der Türschwelle zurück in die Diele. Dort stand er, alleine, zitternd und schwitzend.
    Er wusste, warum seine Mutter weinte. Was er dagegen nicht verstand, war, weshalb man ihn aus ihrer Gegenwart verscheuchte. Aber diese Einsicht sollte ihm

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