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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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geschah das aus Berechnung; jeder Anschein von Spontaneität war eigentlich das Resultat sorgfältiger Planung. Kathy hingegen war das genaue Gegenteil. Sie hatte eine unabhängige, ungebändigte Seite, die wohltuend und erfrischend war. Und als sie sich zum ersten Mal begegneten, war dies genau das, was er brauchte.
    Pünktlich um sieben kletterte er deshalb auf den Hügel aus glitzerndem Schiefer und Granit, wo ihn Kathy mit einer Flasche Champagner und zwei Gläsern bereits erwartete. Die Luft war mild, der Wind jedoch böig, und er wirbelte Kathy die dunklen Locken um den Kopf, als sie sich vorbeugte, um ihm einzuschenken.
    »Was ist der Anlass?«
    »Nichts. Die Begehung von absolut nichts«, verkündete sie und reichte ihm ein Glas der moussierenden Flüssigkeit. Die Bläschen tanzten und platzten, als er sie in das schwindende Licht hielt.
    »Ich weiß, Plastik ist nicht gerade elegant, aber Glas ist zu gefährlich. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass uns hier eines zerbricht«, sagte sie und füllte auch ihren eigenen Kelchbecher.
    »Da hast du recht«, meinte er. »Hier kommen ständig Leute mit Kindern und Hunden rauf. Glas wäre unverantwortlich.«
    Sie bot ihm Kräcker und Käse an, und sie hockten sich auf den harten, glatten Stein, der noch immer warm von der Nachmittagssonne war, und schauten auf den mächtigen Hudson River, der dunkel, ernst und redlich vor ihnen dahinfloss.
    Unten auf dem Weg flitzte ein kleiner Junge in einem Affenzahn auf seinem Klapproller vorbei, sein rundes Gesicht verkniffen vor Anstrengung. Ein schmutziger kleiner Terrier raste wie verrückt bellend hinter ihm her und versuchte, in die Reifen zu beißen.
    »Edgar Allan Poe ist äußerst steampunkmäßig, weißt du«, sagte Kathy, den Mund voller Kräcker und Käse, und versprühte dabei einen feinen Krümelregen.
    »Wirklich?«
    »Klar. Schau dir doch mal Die Grube und das Pendel an. Da wird ein Mann von der Inquisition in ein Verlies gesperrt, und über ihm baumelt ein Höllengerät, das im Begriff ist, ihn zu zerschneiden. Ist das nicht köstlich gruselig? Furchterregend und perverserweise irgendwie sexy.«
    »Wo kommt das Punk-Element ins Spiel?«
    »Na ja, da hast du den verrückten Wissenschaftler, der Amok läuft. Und die Inquisitoren glauben, ihr Gefangener sei ein Ketzer. Eigentlich war die Inquisition ja selbst eine Ketzerbewegung. Ich meine, in den meisten Kulturen schnallt man nicht einen Typen auf eine Platte und hängt eine schwingende Klinge über ihm auf.«
    Lee schauderte. Diese Geschichte hatte ihm schon immer Angst eingejagt, mehr als jede andere von Poe. Was für eine entsetzliche Prämisse – eingeschlossen sein und nichts anderes tun können, als auf den unausweichlichen Tod zu warten. Poes gequälte Phantasie musste sich einen ganz schön dunklen Weg entlanggewunden haben, um auf so etwas zu kommen.
    Er betrachtete die allmählich schwindende Sonne im Park. Kathy kuschelte sich an ihn und fuhr ihm mit den Fingerspitzen leicht über den Handrücken. Und wieder einmal spürte er, wie damals, als er sie gerade erst kennengelernt hatte, die Sogwirkung, die von ihrem Körper ausging. Sie befanden sich noch in der Phase ihrer Liebesbeziehung, in der sie sich wie magisch voneinander angezogen fühlten. Manchmal war sein Verlangen, sie zu berühren, so stark, dass er sich in der Öffentlichkeit zusammenreißen musste. In solchen Momenten neigte er dazu, darüber nachzugrübeln, wie dünn die Membran war, die ihn von dem Gejagten trennte. Seine Begierden hatten diesen Mann zu jemandem geformt, der Trost im Elend und Leiden anderer Menschen fand.
    »Wie läuft’s denn so?«, fragte Kathy. »Die Ermittlung, meine ich.«
    Er erwog, ihr nichts über die undichte Stelle zu erzählen, entschied dann aber, dass es nicht schaden könne. Vielleicht hatte sie ja eine Idee.
    »Mannomann!«, sagte sie, nachdem er geendet hatte. »Glaubst du, es war Krieger?«
    »Ich wüsste nicht, was sie davon hätte.«
    »Vor allem, weil sie so ehrgeizig ist, wie alle sagen. Wer wusste noch davon?«
    »Nun, die Leute aus der Toxikologie und der Pathologe, der die Autopsie durchgeführt hat.« Er dachte über die elegante Ivana Jankovic und ihre Maulwurftruppe nach. Er konnte sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen Informationen an die Presse durchsickern ließ. Und dann drang ihm von irgendwo aus dem Hinterkopf wieder dieser Gedanke ins Bewusstsein, der ihm am Nachmittag schon einmal gekommen war. Kathy musste den Ausdruck

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