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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Telefongesprächen, bei einer persönlichen Begegnung jedoch sehr selten. Schwindler hatten eine Wirkung wie Essig auf ihn: Statt auf sie hereinzufallen, fühlte er sich auf der Stelle abgestoßen. Es war, als verbreiteten sie einen widerlichen Geruch, wie faulender Kohl. Er konnte die Arroganz hinter einem scheinbar demütigen Priester spüren, ebenso wie die Verzweiflung, die sich hinter der Fassade eines erfolgreichen Geschäftsmannes verbarg. Je mehr jemand versuchte, seine wahren Gefühle zu verbergen, desto besser durchschaute ihn Lee. Er war wie ein Arzt mit einem ganz besonderen Talent, Diagnosen zu stellen. Nur dass er die Seelen der Menschen diagnostizierte.
    In Dr. Williams Praxis übernahm allerdings er die Rolle desjenigen, der beobachtet wurde – eine Rolle, in der er sich nicht annähernd so wohlfühlte. Er war früh dran. Um sich davon abzulenken, dass sein Magen anfing, sich zu verkrampfen, griff er nach einer Zeitschrift. Doch genau in diesem Augenblick hörte er das vertraute Klicken, mit dem die Tür ihres Behandlungsraums aufging. Er schob die Zeitschrift wieder ins Regal, stand auf und wischte sich die Handflächen an der Vorderseite seiner Hose ab. Er wusste nicht, warum er schwitzte – aber das würde Dr. Williams ihm im Verlauf ihrer heutigen Sitzung zweifellos entlocken.
    Sie erschien in der Diele, ihre ruhige Ausstrahlung beruhigend wie immer. »Hallo«, sagte sie mit ihrer tiefen, wohltönenden Stimme und nickte ihm auffordernd zu. Ihre lang gestreckte, aparte Gestalt steckte in einem bunten Rock mit afrikanischen Mustern und einer schokoladenbraunen Tunika, die nur einige Nuancen dunkler war als ihre dunkle, glatte Haut. Der Ausschnitt der Tunika ließ ihren langen Hals noch schwanenhafter erscheinen, eine Wirkung, die zusätzlich durch ihren Kurzhaarschnitt betont wurde. Er schlüpfte an ihr vorbei und fühlte sich, wie immer, ohne ersichtlichen Grund ein bisschen wie ein kleiner ungezogener Junge. Doch das war schließlich einer der Gründe, weshalb er in Therapie war.
    »So«, sagte sie, »wie geht es Ihnen heute?«
    »Ganz gut«, erwiderte er und versuchte, das Krampfgefühl in seinem Magen loszuwerden. Früher einmal war die Antwort auf die Frage immer »gut« gewesen, bis er zu der Erkenntnis gelangt war, dass das alte Familienmantra nicht mehr wirkte – ihm ging es alles andere als gut. Inzwischen vermied er diese Antwort nach Möglichkeit. Sie klang hohl und erinnerte ihn nur daran, wie weit er mit der Halt-die-Ohren-steif-Kultur seiner schottischen presbyterianischen Vorfahren gekommen war.
    »Sie wirken bekümmert«, bemerkte Dr. Williams, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und strich ihren langen Rock glatt. Sie war eine große, aparte Frau – ihre lässigen, würdevollen Bewegungen und ihr langer Hals ließen ihn immer an eine Giraffe denken. Ihre Haut sah so köstlich aus wie heiße Schokolade, und ihre großen Augen strahlten eine gelassene Bestärkung aus, die für Lee in den schwärzesten Phasen seiner Depression von unschätzbarem Wert gewesen waren.
    Er erzählte ihr von der Frau im Aufzug und wie nervös ihn ihre Ausstrahlung gemacht hatte. Dr. Williams nahm einen Schluck aus einem großen Glas Eistee auf dem Tisch neben ihr. Er wusste, was das Glas enthielt, denn er hatte sie einmal danach gefragt. Sie bezeichnete es als ein Überbleibsel aus ihrer Zeit im Süden, obwohl weder an ihrer Art noch an ihrem Akzent irgendetwas darauf hindeutete, dass sie sich überhaupt je dort aufgehalten hatte.
    Er wusste so wenig über sie – das war Teil der ungleichen Art ihrer Beziehung. Er wusste, dass es ihn nicht ärgern sollte, tat es aber doch. Die meisten seiner Plauderversuche wurden geschickt abgebogen oder stießen auf geduldiges Schweigen. Das war ihr Job, er wusste das so gut wie jeder andere. Immerhin hatte er selbst einmal an ihrem Platz gesessen und den ganzen Tag lang Patienten empfangen – bis zu jenem schrecklichen Tag, als seine Schwester verschwand und sich sein Leben für immer veränderte. Jetzt verbrachte er seine Tage damit, Verbrecher zu jagen und Psychotiker aufzuspüren, statt die Wehwehchen von Alltagsneurotikern zu kurieren.
    »Was meinen Sie, was sie so gequält hat?«, fragte Dr. Williams.
    »Die Frau im Aufzug? Ich glaube, sie hat ihren Arzt aufgesucht und mit irgendwelchen schlechten Nachrichten gerechnet. Oder hat kürzlich schlechte Nachrichten bekommen und ist jetzt zur Behandlung gegangen.«
    »Sah sie krank aus?«
    »Sie war sehr dünn, aber

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