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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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auf seinem Gesicht gesehen haben, denn sie schubste ihn am Arm. »Was ist? Weißt du, wer es war?«
    »Nein«, erwiderte er, »aber ich habe einen leisen Verdacht, wer dahintersteckt.«
    Er wünschte, der Gedanke wäre ihm nie gekommen. Und er würde wirklich sehr ernsthaft darüber nachdenken müssen, ob er seinem alten Freund Chuck Morton sagen sollte, dass die undichte Stelle möglicherweise seine Frau war.

KAPITEL 17
    Davey roch das Mädchen, noch bevor er es sah. Er spürte ihre Anwesenheit. Eine Frau wie sie zog ein Bouquet aus Unschuld, Sehnsucht und Verlangen, Erotik und Jungfräulichkeit hinter sich her, was sich alles zu einem berauschenden Duft vermengte, den er unwiderstehlich fand. Er verfolgte sie wie ein Jagdhund, spürte ihrem Geruch nach. Mit vorsichtigen Schritten, um seine neuen Nikes nicht schmutzig zu machen, kam er auf der anderen Seite des Gebüschs im Van Cortlandt Park heraus und schnupperte – und da war sie. Ein sportliches Mädchen beim Power-Walking. Der blonde Pferdeschwanz der Kleinen schwang hin und her, und bei jedem Schritt schob sich ihr kleines Hinterteil heraus – eins, zwei, eins, zwei. Aber es war die rote Jogginghose, die es besiegelte. Rot war seine Farbe. Das musste ein Omen sein.
    Er schätzte, wie schnell er sie einholen konnte, ohne spurten zu müssen. Sie hatte etliche andere Läufer hinter sich. Es war Sonntagmorgen und der Park voller Menschen. Er trat auf den Weg und joggte langsam los. Es eilte nicht. Er konnte eine Weile hinter ihr bleiben, wenn er langsam genug lief, keinerlei Aufmerksamkeit erregen und dann …
    Nach etwa einer halben Meile erhöhte er sein Tempo und rannte an ihr vorbei, nur um fast unmittelbar vor ihr hinzufallen und sich an den Knöchel zu greifen. Sie fiel beinahe auf ihn und musste zur Seite springen, damit sie nicht über ihn stolperte.
    Er rollte sich auf die Seite, hielt sich das Bein und stöhnte. »Au – au-au-au!«
    Sie beugte sich zu ihm hinunter, Schweiß tropfte von ihrer Stirn auf seine. Er schaffte es, mit der Zunge einen Tropfen zu erwischen. Es schmeckte zugleich salzig und süß.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie mit besorgt verzogenem Gesicht. Dieser Anblick ließ ihm ganz flau im Magen werden: Sie machte sich Sorgen – um ihn. Eine hübsche Frau war beunruhigt – seinetwegen.
    In seinem Kopf hörte er die Stimme seiner Mutter. Davey? Davey, mach nicht solchen Lärm – deine Schwester schläft! Davey, versuch doch mal, nicht so laute Schritte auf der Treppe zu machen – du weckst noch deine Schwester auf!
    Er versetzte sich wieder in die Gegenwart zurück und sah mit einem Blick voller Schmerz und Dankbarkeit zu dem Mädchen hoch. »Mein Knöchel – der versagt manchmal. Ist eine alte Kriegsverletzung – aus dem Golfkrieg«, fügte er hinzu. Er spürte ein Kribbeln in den Eingeweiden bei dieser kleinen improvisierten Lüge. Welche Frau konnte schon einem verwundeten Soldaten widerstehen?
    »Brauchst du Hilfe?«, erkundigte sich die Kleine mit Augen so groß und so blau wie Kornblumen.
    »Wenn du mir bloß auf die Bank da helfen könntest«, sagte er.
    »Klar«, meinte sie und hielt ihm eine Hand hin. Ihre Haut roch nach Orangen und war so zart wie ein Blütenblatt.
    »Ich bin Davey«, sagte er und schenkte ihr sein typisches schiefes Grinsen.
    »Und ich Liza«, entgegnete sie.
    »Nett, dich kennenzulernen, Liza.«
    Er hatte sie – oder würde sie doch schon bald haben. Der Rest war ein Kinderspiel.

KAPITEL 18
    Der Weg zu Dr. Williams Praxis war ihm so geläufig, dass Lee manchmal seine Wohnung verließ und sich in ihrem Wartezimmer wiederfand, ohne sich erinnern zu können, wie er dorthin gekommen war. Auf ihrer waldgrünen Couch hatte er seine Depression größtenteils überwunden, hatte dagelegen und auf das Bücherregal mit den afrikanischen Skulpturen und Keramiken gestarrt.
    Schon jetzt bekam jene Zeit in seiner Erinnerung zunehmend Ähnlichkeit mit einem Traum. Obwohl er sich noch an Nachmittage besann, an denen er nur im Bett liegen und gegen die alles umhüllende Höllenqual die Zähne zusammenbeißen konnte – wartend und betend, dass endlich der Schlaf kommen und ihn in sanftes Vergessen hinüberbefördern würde –, ließ die Intensität dieser Erinnerungen allmählich nach. Dass auch er ein Bestandteil der Welt da draußen war, zu den Menschen gehörte, die ihn umgaben, war damals nichts als eine nebelhafte Erinnerung gewesen, nur eine Vermutung, ein Rest. Als er jetzt schnell an der Imbisskarre am

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