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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Nebentischen und das Scheppern von Geschirr aus der Küche.
    »Das war heute also eine Art Vorsprechen?«, fragte er. »Um zu sehen, ob ich dem gewachsen bin?«
    »So würde ich es nicht ausdrücken«, meinte sie und beugte sich zu ihm. »Ich war ja nicht da, aber ich hörte, dass Ihre erste Vorlesung ebenfalls gut lief. Ich glaube einfach, dass es eine tolle Sache für die Studenten wäre und für Sie möglicherweise auch.«
    Er trank einen Schluck Wein und stellte das leere Glas auf den Tisch zurück.
    »Danke«, sagte er. »Ich fühle mich wirklich geschmeichelt.«
    Sie lachte – ein heiseres, herzhaftes Lachen, das sich anhörte wie das Kreischen eines entzückten Esels.
    »Das klingt gefährlich nach einem Korb«, meinte sie. »Was man eben so sagt, wenn man sich nicht mit jemandem verabreden will.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und lächelte. »Sie müssen mir nicht auf der Stelle antworten. Aber ich sollte Sie warnen, ich kann sehr hartnäckig sein.«
    Er erwiderte das Lächeln. »Daran zweifle ich nicht eine Sekunde.«
    »Und offensichtlich gilt das Gleiche für Sie«, fügte sie hinzu.
    Damit hatte sie natürlich recht, und seine Gedanken schweiften ab zu der vor ihm liegenden Aufgabe. Er brannte förmlich vor grimmiger Entschlossenheit. Er würde diesen Mörder stoppen – und wenn er dabei draufging.
    Am Ende, dachte er, zählt nicht, was man erreicht, sondern wo man gewesen ist und was man gesehen hat – das Dasein als Bürger dieser Welt. Je älter er wurde, desto stärker nahm Erfolg in der Erinnerung nur den zweiten Rang ein – hinter der Erinnerung an Erlebtes, an Orte, die man besucht, an Menschen, die man geliebt, und natürlich an Menschen, die man verloren hatte.

KAPITEL 33
    François Nugents Kopf dröhnte von den Rachegedanken, die er Tag und Nacht hatte. Er konnte sich den Tod seiner Schwester nicht verzeihen und war überzeugt, dass seine Eltern auch so empfanden. In jeder ihrer Gesten, in jedem Wort sah er einen Vorwurf. Es war seine Schuld, dass sie tot war, seine Schuld, dass sie sich in die finstere und gefährliche Welt der Klubs in Downtown gewagt hatte. Er hielt es nicht aus, in ihrer Nähe zu sein und die Traurigkeit in ihren Augen zu sehen, als sie die Totenwache für ihre einzige Tochter planten.
    Samstagfrüh wachte er auf mit dem Plan, den Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Er konnte nicht mehr denken, nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Sein Schuldgefühl fraß ihn auf, als wäre es ein Virus, das sein Blut befallen hatte und ihn von innen heraus vergiftete. Er lag im Bett und starrte an die Decke seines geräumigen Schlafzimmers. In ihrem Stadthaus in Murray Hill war alles ruhig. Das Geld seiner Eltern bedeutete ihm nun nichts. Er fand keinen Trost in dem vornehmen Perserteppich in seinem Schlafzimmer, dem handgeschnitzten Kopfteil seines aus Malaysia importierten Betts oder der mächtigen Marmortreppe, die ins Erdgeschoss führte. Nichts brachte ihm Freude, weder die hohen Decken der Bibliothek, in der er viele glückliche Stunden verbracht hatte, noch die Schiebetür zum Wohnzimmer, die er als Kind geliebt hatte, weil sie so lautlos in die Aussparung in der Wand glitt.
    Er fuhr sich durchs ungekämmte Haar und stolperte gähnend die herrschaftliche Marmortreppe hinunter. Unten bog er in den kleinen Flur ein, der zur Küche führte. Er konnte ihre Kinderfrau Flossie O’Carney sehen, das Gesicht in den Dampfkegel gehüllt, der dem Teekessel entwich. Ihr blondes Haar kringelte sich um die Stirn, ihre rosa Wangen strahlten Jugend und Keuschheit aus.
    François’ Gefühle ihr gegenüber waren etwas verworren. Gelegentlich empfand er sie mehr als Mutter als seine eigene, oft abwesende und gefühlsmäßig widersprüchliche Mutter – aber gleichzeitig begehrte er sie auch. Wie sie dort mit ihrem ausladenden, runden Hintern über den Herd gebeugt stand, sehnte er sich danach, sie um die Hüften zu packen und sich in ihr festes Fleisch zu vergraben und bis zur völligen Erschöpfung zuzustoßen, bis sie ihn in ihre drallen Arme nahm und sich alle schlimmen Dinge auf der Welt in ihrer Umarmung einfach auflösten.
    Er schlich sich hinterrücks an und wollte ihr gerade die Augen zuhalten, als sie sich umdrehte.
    »Oh«, japste sie und griff sich an den üppigen Busen, »du hast mir einen furchtbaren Schrecken eingejagt! Was denkst du dir dabei, dich so an jemanden heranzuschleichen?«, schimpfte sie und drohte ihm mit dem Finger.
    Er sehnte sich danach, diesen Finger

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