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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Einladung geehrt gefühlt, doch sie hatte an solchen Veranstaltungen nie Gefallen gefunden. Es würde Reden, Trinksprüche, teures mittelmäßiges Essen und, was am schlimmsten war, jede Menge Small Talk geben. Manchmal, wenn sie sich dabei ertappte, wie sie zum x-ten Mal die gleichen Geschichten erzählte, war sie so gelangweilt, dass sie sich kaum noch selbst zuhören konnte. Sie fragte sich, ob alle anderen auch so empfanden oder ob es Menschen gab, die tatsächlich Freude an diesen oberflächlichen Unterhaltungen hatten und denen es gefiel, wieder und wieder die immer gleichen Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen.
    – Na ja, ich hatte da mal diesen Fall, wo sich herausstellte, dass der Mörder tatsächlich der Butler war!
    – Nein, wirklich, der Butler?
    – Ja, ist das nicht irre?
    – Aber ja. Nicht nur das, der Mord ereignete sich ja auch wohl in einem Landhaus!
    – Was Sie nicht sagen!
    Das Problem mit diesen offiziellen Anlässen, bei denen sie einen Haufen Leute traf und andere sah, denen sie nur alle paar Jahre über den Weg lief, bestand darin, dass sie einem so viel geistloses Geschwätz abverlangten. Am Ende des Abends kam sie sich so vor, als hätte sie stundenlang nur Horsd’œuvres genascht und nichts Richtiges gegessen – sie war noch immer hungrig.
    Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sehr Lee es mochte, sie mit ihrem Appetit aufzuziehen. Es stimmte, sie hatte insofern Glück, als sie beträchtliche Mengen essen konnte, ohne zuzunehmen. Und doch aß sie keineswegs so viel, wie er meinte. Unter der Woche ließ sie häufig das Mittagessen aus, weil sie für die dazugehörige Arbeitspause zu beschäftigt war; an anderen Tagen aß sie abends nur Obst oder Salat. Aber wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie aus irgendeinem Grund immer Heißhunger. Lass ihn eben glauben, du wärst so gefräßig, wie er denkt. Es amüsierte sie, und er genoss es offensichtlich, sie damit aufzuziehen.
    Sie hatte Lee gern – sie gab sogar zu, ihn zu lieben –, doch seine innere Unruhe bekümmerte sie. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, und manchmal machte sie ihr Angst. Ihr Vater war so absolut behütend gegenüber seinem einzigen Kind, mit ihm konnte sie darüber nicht sprechen. Sie hatte mehrere gute Freundinnen, aber die meisten von ihnen lebten in Philadelphia und kannten Lee noch nicht.
    Das Taxi hielt vor dem Public Ledger Building. Kathy zahlte den Fahrer und stieg aus. Weil Fred Bremer Mitglied der angesehenen Vidocq Society war (genau wie ihr Vater), fand das Dinner im Speisesaal des Down Town Club statt, wo die Gesellschaft auch ihre monatlichen Treffen abhielt. Sie betrat das Gebäude durch einen eleganten Marmorbogen und gelangte in die riesige Rotunde mit dem idealisierten Standbild von Benjamin Franklin. Statt des fetten, kahl werdenden Satyrs, als der er auf den meisten Gemälden dargestellt war, wirkte er hier entschieden heroisch und stand, aus glänzendem Marmor gehauen, groß und ernst auf seinem weißen Granitsockel. Kein anderer Mensch aus Philadelphia wurde von den Bewohnern der Stadt durchgängig mehr bewundert als Franklin – und das aus gutem Grund. Wenn je ein Mensch den Spagat zwischen den verschiedenen Ansprüchen von Politik und Wissenschaft geschafft hat, dann Franklin, dachte sie. Er hat es auf beiden Gebieten zu Größe gebracht.
    Sie durchquerte die mit Teppichboden ausgelegte Lobby des Down Town Club und betrat den ausgedehnten Speisesaal, wo die Feierlichkeiten stattfanden. Die Gesellschaft kam bereits in Fahrt. Gleichförmiges Stimmengebrumm überlagerte Gläserklirren und das Geräusch knallender Champagnerkorken. Sie erkannte den Polizeichef, einen groß gewachsenen Iren mit schwarzen Augenbrauen, der sich mit einer grazilen Blondine unterhielt, der aus sämtlichen Knopflöchern die Botschaft »Politikerin« drang. Kathy schob sich durch die Menschenmenge und hielt Ausschau nach ihrem Vater. Sie erkannte mehrere Mitglieder der Vidocq Society, von denen einige ihren Blick auffingen und ihr zulächelten.
    Dort stand eine schmächtige schüchterne asiatische Pathologin, deren Name ihr entfallen war – Wong? Huang? Er fiel ihr einfach nicht ein. Neben Ms Wong/Huang stand dieser ungehobelte russische Spezialist für Blutspritzer, der ständig versuchte, sie anzumachen. Sie nannte ihn insgeheim Boris Borinsky, obwohl er eigentlich Alexis Tschernikow hieß. Er hob sein Glas – vermutlich Wodka – und zwinkerte ihr zu.
    Sie lächelte flüchtig zurück und ging

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