In sueßer Ruh
haben, und diese Fotos anzusehen ging ihr an die Nieren.
Butts seufzte. »Keine verwertbaren Spuren bis jetzt – auch keine Haare oder Fasern. Nicht ein einziger brauchbarer Beweis. Als wären sie in einer verdammten Klinik umgebracht worden.«
Krieger sah aus dem Fenster auf ein Fleckchen diesigen Sommerhimmel. »Vielleicht wurden sie das ja.«
»Hoffentlich nicht. Wenn wir einen gemeingefährlichen Arzt am Hals haben, wär das echt scheiße. Was haben Sie noch mal über Melville gesagt?«, fragte er. Er starrte auf das Foto von Melvilles Grab. Feierlich ragte der weiße Grabstein darauf auf, und die einfache Inschrift war sogar auf dem hochglänzenden Polaroidabzug gut lesbar.
»Sein Werk konnte zutiefst nihilistisch sein.«
»Ja, richtig. Haben Sie eine Idee, wie uns das helfen könnte, diesen Kerl festzunageln?«
Sie suchte nach einem Anzeichen von Spott in seiner Stimme. Da sie keines fand, antwortete sie: »Es könnte eine Verbindung zu dieser Steampunk-Szene geben, in der er anscheinend verkehrt.«
»Zum Beispiel?«
»Ich weiß nicht. Wenn wir mehr über Melville wüssten –«
»Oder dieses ganze Steampunk-Zeugs«, warf er ein. »Wär ganz gut.«
»Ich habe tatsächlich ein bisschen recherchiert und ein paar Dinge herausgefunden.«
»Ja? Und was?«
»Nun, es scheint da irgendeinen Zusammenhang mit der Vorstellung vom verrückten Wissenschaftler zu geben. Das ist sozusagen eine der Standardfiguren der Steampunk-Szene.«
Butts saß hinter dem Schreibtisch, lehnte sich in dem hölzernen Drehstuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Im Ernst? Vielleicht kriegt er ja daher seine Ideen.«
»Es gibt aber auch die Figur des Vampirjägers.«
»Und was macht der?«
»Soweit ich herausfinden konnte, jagt und tötet er Vampire. Jede dieser Figuren hat eine eigene ausgeklügelte Kostümierung.«
»Hm«, meinte Butts und kratzte sich am Kinn. »Ich frage mich ja, ob unser Täter ein paar seiner Einfälle da herhat. Tragen diese Leute ihre Kostüme eigentlich auch in der Öffentlichkeit oder nur bei diesen Steampunk-Treffen?«
»Das weiß ich nicht genau.«
»Noch mal zu Melville – wie passt der für Sie da rein?«
»Wussten Sie zum Beispiel, dass er ein Freund von Nathaniel Hawthorne war?«
»Nein.«
»Oder dass Poe, Hawthorne und Melville als die Koryphäen ihrer Zeit für romantische Horrorgeschichten gelten?«
»Möglicherweise hab ich da mal was in der Schule gehört.«
Die Tür ging auf, und Chuck Morton kam herein. Er nickte ihnen kurz zu, lockerte seine Krawatte und setzte sich müde an seinen Schreibtisch.
»Und«, sagte er, »was haben Sie für mich?«
Butts sah mit neu entdecktem Respekt auf Elena. »Ich denke, Sie sollten sich mal anhören, was Detective Krieger zu sagen hat.«
Morton lehnte sich im Stuhl zurück und rieb sich die Stirn. »Okay, schießen Sie los.«
KAPITEL 32
»Die überwiegende Mehrheit der Kriminellen, denen Sie im Lauf Ihrer Karriere begegnen werden, haben alltägliche, eindeutige Motive für ihre Taten. Dennoch bin ich nicht hier, um über diese Straftäter zu sprechen. Sondern über diejenigen, die aus dem Bereich gewöhnlichen kriminellen Verhaltens herausfallen.«
Lee machte eine Pause, um seine Zuhörer anzusehen. Der Vorlesungsraum war brechend voll an diesem trüben Donnerstagmorgen – ein Mosaik aus jungen und nicht mehr so jungen Gesichtern, viele Ethnien und Hautfarben waren vertreten. Das Äußere der Strafverfolgung in der Stadt veränderte sich. Weiße waren Farbigen zahlenmäßig überlegen, allerdings nur geringfügig. Auch die männliche Überzahl war nicht mehr so groß wie früher.
Lee legte die Hände aufs Lesepult. Er hatte zwar noch immer Fieber, aber trotzdem entschieden, die Vorlesung nicht zu verschieben. Er hasste es, tagelang wegen irgendwas krank zu sein, was wahrscheinlich ein Vermächtnis des schottischen Stoizismus seiner Mutter war. Vor sich hatte er Notizen liegen, sie bislang jedoch nicht benutzt. »Was die meisten Kriminellen antreibt, entspricht dem, was uns alle in unseren dunkleren Momenten antreibt: Gier, Eifersucht, Rache – erkennbare menschliche Gefühle also.«
Eine junge Frau in der ersten Reihe starrte ihn aus großen blauen Augen hingerissen an und saugte seine Worte förmlich auf. Unwillkürlich dachte er, wie sehr sie ihn an seine Nichte Kylie erinnerte. Er musste später seine Mutter anrufen, fiel ihm ein, und sprach dann weiter.
»Der sexuelle Serientäter hat keine solchen eindeutigen
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