In sueßer Ruh
Ausdruck. Die füllige Blondine wog gut zwanzig Kilo mehr als ihr Vater und überragte ihn. Antrias Azarian war nur knapp eins siebzig, auch wenn er jeden, der danach fragte, ob seiner Größe belog. Kathy hatte sowohl seine kleine Statur als auch seine feinen Züge geerbt, und niemand, der sie zusammen sah, würde nicht sofort sehen, dass sie seine Tochter war (obwohl er entzückt gewesen war, als einmal jemand fragte, ob sie Geschwister seien). Sein stark gelocktes Haar war noch immer dicht und schwarz, auch wenn sie den Verdacht hatte, dass er es färbte. Sie hatte ihn nie danach gefragt, weil sie wusste, dass er vermutlich ohnehin lügen würde.
»Da drüben ist er«, sagte Kathy zu Peter und fasste ihn an der Schulter. Sie konnte nicht umhin festzustellen, dass sie straff und muskulös war und sie seine Frage als Vorwand benutzt hatte, ihn zu berühren.
»Wo?«, wollte er wissen und streifte dabei ihre vorgereckte Schulter, was ihr eine Gänsehaut verursachte.
»Der kleine Mann, der sich mit der großen Blonden unterhält«, sagte sie und deutete hinüber. Ihr Vater fing ihren Blick auf, lächelte und winkte ihr kurz zu.
»Oh«, sagte Peter, »ich dachte, er wäre größer.«
»Vorsicht – da ist er sehr empfindlich und ich vielleicht auch.«
»Aber Sie sind eine Frau – darum müssen Sie sich nun wirklich keine Gedanken machen, oder?«
Sie schnitt eine Grimasse. »Ich bin eine Frau. Ich muss mir um alles Gedanken machen.«
»Na ja, aber doch bestimmt nicht um Ihr Gewicht«, sagte er mit einem bewundernden Blick auf ihre schlanke Figur.
»Nett, dass Sie das sagen.«
»Ich spreche natürlich strikt als Wissenschaftler.«
»Computerwissenschaft zählt?«
Er runzelte die Stirn. »Höre ich da einen spöttischen Unterton heraus?«
Sie lachte. »Keineswegs.«
Ihr Vater hatte die große Blonde in die Obhut von zwei Polizisten mit roten irischen Gesichtern übergeben und schob sich nun durch das Gedränge auf sie zu. Es ging nur langsam voran, denn viele Leute drehten sich um, um ihm Hallo zu sagen oder auf die Schulter zu klopfen. Antrias Azarian war in den Forensikerkreisen von Philadelphia wohlbekannt.
Kathys Mutter war gestorben, noch bevor sie irgendeine Erinnerung an sie hatte, und ihr Vater hatte nie wieder geheiratet. Sie war Einzelkind, somit war er die einzige Familie, die sie je hatte – abgesehen von Tanten und Onkeln, Cousins und Cousinen, von denen einige noch immer in Armenien lebten. Ihre Verbundenheit hatte sich im Lauf der Jahre vertieft, bis zu dem Punkt, an dem Kathy sich Sorgen machte, ihr Vater wäre verloren, sollte sie jemals heiraten. Sie hatte ihn oft dazu gedrängt, sich eine neue Frau zu suchen, und obwohl er mit vielen Frauen ausgegangen war, behauptete er, es sei nie eine dabei gewesen, die ihrer Mutter das Wasser hätte reichen können. Kathy nahm ihm das nicht ab. Sie glaubte, dass er es vermied, einer Frau zu nahezukommen, weil er sich vor dem Schmerz fürchtete, jemanden zu verlieren, den er so innig liebte, wie er Nairi Azarian geliebt hatte.
»Hallo!«, brüllte ihr Vater, als er sich an einer Gruppe Politiker und ihren mit Botox aufgespritzten, chemiegebräunten Frauen vorbeiquetschte. Er strahlte, und seine olivenfarbene Haut glühte förmlich vom Alkohol und vor guter Laune. Kathy hatte ihn selten schlecht gelaunt erlebt – er war ein von Natur aus heiterer Mensch, der nach den meisten Dämpfern in erstaunlichem Tempo wieder auf die Beine kam. Sie vermutete, dass der Tod ihrer Mutter das einzige Ereignis in seinem Leben war, das sein Vertrauen in die eigene Unverwüstlichkeit erschüttert hatte.
Antrias Azarian gab seiner Tochter einen Kuss und streckte Peter die Hand hin. »Sie müssen der berühmte Lee Campbell sein!«
Ein Ausdruck der Verwirrung huschte über Peters attraktives Gesicht, und Kathy krampfte sich der Magen zusammen. Natürlich, ihr Vater war Lee noch nie begegnet und hatte auch nie ein Foto von ihm gesehen. Er hatte gehört, Lee sehe gut aus, folglich war dies eine logische Schlussfolgerung.
»Das ist Peter Sandstrom«, sagte sie, obwohl der Schaden bereits angerichtet war. Sie kam sich billig und schäbig vor wie ein zweitklassiges Flittchen.
Ihr Vater und Sandstrom schüttelten sich die Hand. »Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, Dr. Azarian«, sagte Peter herzlich.
»Antrias, bitte«, erwiderte ihr Vater strahlend. »Und glauben Sie bloß nicht alles, was Sie hören – das ist alles ein Haufen Lügen!«
Peter lachte. »Nur
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