In sueßer Ruh
Montclair jeder Yogi Berra, zumindest vom Sehen. Man konnte ihn nicht übersehen, da die Leute ihn auf Schritt und Tritt anstarrten. Selbst wenn man kein Baseballfan war, begriff man, dass er eine Berühmtheit war, alleine dadurch, wie die Leute ihn behandelten – mit einer Art jovialer, vertrauter Ehrfurcht, als wäre er ein Lieblingsonkel, der zufällig einer der größten Catcher in der Geschichte des Spiels war.
Chuck hatte ihn schon ein paarmal in der Stadt gesehen, aber nie den Mut gehabt, auf ihn zuzugehen. Von Natur aus schüchtern, hatte Chuck Morton alles dafür getan, seine Persönlichkeit der strengen Vorstellung von einem Commander der NYPD anzupassen. Aber eines seiner Baseballidole anzusprechen schaffte er nicht. In der Highschool war Chuck ein Linkshänder mit einem gemein aufsteigenden Fastball gewesen, und alle sagten, er sei vielversprechend. In Princeton spielte er im ersten Studienjahr weiter, bis ein Batter einen dieser Fastballs zur Abwurfstelle zurückschlug und ihn damit am linken Auge traf, von dem sich daraufhin die Netzhaut ablöste. Er sah damit anschließend nie wieder wie vorher und hatte Probleme, die Strike Zone zu treffen. Manche meinten, es seien die Nerven, und hatten möglicherweise recht. Aber nur um es ihnen zu zeigen, nahm er es mit Rugby auf, einem noch viel brutaleren Sport. Zwei Jahre lang spielte er in der Schulmannschaft, bis sein Vater plötzlich starb und er ohne Abschluss abgehen musste.
Der Song war zu Ende, und der CD -Player surrte, als eine andere CD in den Schlitz glitt. Chuck war gerade im Begriff, mit seinen Sit-ups zu beginnen, als er das Haustürschloss zuschnappen hörte. Susan war von ihrem sonntagnachmittäglichen Einkaufsritual zurück. Selbst nach all den Jahren kribbelte es ihm beim Gedanken an sie in der Leiste. Sein Testosteronspiegel stieg, er schlang sich das Handtuch um die Schultern und sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Kellertreppe hoch. Er hoffte, dass sie bei Victoria Secret’s was Hübsches gefunden hatte.
KAPITEL 38
»Was hat es bloß mit dieser Faszination vom Tod auf sich, die wir alle zu haben scheinen?«, fragte Kathy, deren Kinn vom Fett der Teigtaschen glänzte.
Es war Samstagabend, und Lee und sie aßen bei ihrem Lieblingsvietnamesen in der Doyers Street. Er war der Schauplatz ihres ersten Dates, und sie kamen oft hierher zurück. Das Essen war gut, und die Preise waren vernünftig.
Er beugte sich vor und fuhr ihr mit dem Finger übers Kinn, was weniger dazu beitrug, den Fettfilm zu entfernen, als ihn zu verteilen. Sie lächelte und tupfte mit ihrer Serviette darüber.
»Ich weiß – ich bin eine Kleckerin«, sagte sie. »Das sagt mir mein Vater immerzu.« Als er nichts erwiderte, lachte sie. »Bist du nicht gut erzogen? Du bist irgendwie so zurückhaltend, mir zuzustimmen.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und faltete die Hände hinterm Kopf. »Anscheinend erinnere ich mich an das Sprichwort, dass Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist.«
Sie wedelte mit der Serviette in seine Richtung. »Feigling.«
»Also schön«, meinte er. »Du bist eine unordentliche Esserin.«
Sie lachte wieder, es klang herzhaft wie brennendes Holz, das im Feuer knackt. »Oh, das ist gut – unordentlich. Deine Mutter hat dich damit genervt, stimmt’s? Oder vielleicht war ja dein Vater der Wohlerzogene.«
Seine Miene verfinsterte sich, und er schwieg. Sie war verwirrt und unschlüssig, was sie sagen sollte.
»Du sprichst nicht viel über ihn.«
»Da gibt’s nicht viel zu sagen«, erwiderte er und hoffte, das Steuer in diesem Gespräch noch herumreißen zu können, damit es nicht an den drohend näher rückenden Felsen zerschellte.
Kathy unterbrach ihr Essen und blickte zum Tisch von vier japanischen Geschäftsleuten hinüber, die sich mit höchster Konzentration den vollgehäuften Platten und Schüsseln vor sich widmeten. Ihre Mienen drückten nicht Vergnügen, sondern zielstrebige Entschlossenheit aus. Lee verspürte den Drang, sie zu berühren, aber es kam ihm nicht richtig vor. Irgendetwas war nicht in Ordnung zwischen ihnen. All die ungesagten Worte hingen schwer in der Luft wie graue Qualmreste, lange nachdem das Räucherstäbchen heruntergebrannt war.
»Schon kapiert«, sagte sie. »Du willst nicht über ihn sprechen. Aber soll das immer so bleiben, Lee?«
»Könnten wir nicht das Thema wechseln?«
»Schau, du bist doch der Experte für solche Sachen, nicht ich. Ich glaube eben nur, wenn du weiterhin
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