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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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wer es getan hat, oder?«
    »Nein, das wissen wir nicht.«
    »Deswegen habe ich Angst, dass er auf irgendeine arme Seele losgeht – oder schlimmer.«
    »Aber Sie haben nichts Konkretes? Er hat Ihres Wissens nach niemanden bedroht?«
    »Nein, nicht dass ich wüsste. Aber mir gefällt überhaupt nicht, wie er in letzter Zeit redet.«
    »In Ordnung, danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben.«
    »Sie können also nichts unternehmen?«
    »Ich kann mit ihm sprechen.«
    »Würden Sie das wirklich tun?«
    »Natürlich. Ich rufe ihn an.«
    »Vielen, vielen Dank – dafür bin ich wirklich dankbar, wissen Sie?«
    »Kein Problem – ich danke Ihnen fürs Bescheidsagen.«
    Er spürte eine Hand an seiner Schulter und fuhr panisch herum. Aber es war nur Kathy.
    »Ich bin abfahrbereit«, sagte sie.
    »Was ist mit der Rechnung?«
    »Habe ich erledigt – geht auf mich.«
    »Danke – das nächste Mal bin ich dran«, sagte er. Dann machten sie sich auf den Weg die Doyers Street hinunter. Schweigend gingen sie am Friseurladen an der Ecke mit der traditionellen kleinen rot-weiß gestreiften Ladenstange vorbei.
    »Ich frage mich, ob da ein Bordell im Keller ist«, sagte sie.
    »Ein Bordell?«
    »In manchen Gegenden Asiens, in denen Prostitution illegal ist, benutzt man dieses gestreifte Ladenzeichen von Friseuren als Hinweis auf einen Puff. Das reduziert anscheinend die Anzahl der Polizeirazzien.«
    »Das wusste ich nicht«, erwiderte er. »Ich wusste nur, dass die roten Streifen Blut symbolisieren, weil Barbiere ganz früher auch chirurgische Eingriffe durchführten.«
    »Ja. Stell dir das bloß mal vor – und ohne Betäubung.« Sie schauderte. »Wir können wirklich von Glück sagen, dass wir heute leben.«
    »Allerdings«, stimmte er zu. »Ich muss einen Anruf tätigen. Worüber wolltest du mit mir reden?«
    »Es ist nichts, wirklich«, sagte sie. »Ich bin müde, und es kann warten, wenn du nichts dagegen hast.«
    »Klar«, meinte er. Aber irgendetwas an ihrem Ton war daneben. Er sagte nichts, doch er glaubte ihr nicht.

KAPITEL 39
    Die New York Society for Ethical Culture war in einem prächtigen Jugendstilbau Central Park West Ecke 64th Street untergebracht. Lee war vor Jahren einmal zu einem Klavierabend im Konzertsaal dort gewesen. Er nahm die Linie A bis Columbus Circle, ging nach Norden weiter und betrat das Gebäude durch einen Seiteneingang in der West 64th Street, wo ein kleines Foyer zu einem Aufzug führte. Die kühle, ruhige Kabine war nach der Hitze und dem Lärm in der U-Bahn eine Erleichterung. Die einzigen Geräusche waren Stimmengemurmel und gedämpfte Schritte auf dem hundert Jahre alten Hartholzboden.
    Die Gesellschaft bot ihren Mitgliedern eine Alternative zur theistischen Religion. Jeden Sonntag fand ein Treffen statt, dessen Schwerpunkt auf ethischer Lebensführung und Gemeinschaft lag und bei dem man voreinander und der Welt Rechenschaft ablegte und nicht vor einer Gottheit. Darüber hinaus wurden Vorträge, Kurse und gesellige Veranstaltungen sowie Konzerte und Exkursionen angeboten. Lee hatte ihre Philosophie eines weltlichen Humanismus immer ansprechend gefunden.
    Wie François ihm mitgeteilt hatte, fand die Veranstaltung im Adler Study im dritten Stock statt. Er beschloss, die schöne Marmortreppe mit dem schmiedeeisernen Geländer zu nehmen. Aus dem Konzertsaal hörte er ein Kammermusikensemble ein Quartett von Brahms üben. Auf dem ersten Treppenabsatz kam ein Grüppchen Grundschüler an ihm vorbei. Geräuschvoll polterten sie auf kindlich-rücksichtslose Weise die Treppe hinunter, ungeachtet der vergeblichen Versuche ihrer Lehrer, sie zur Ruhe zu ermahnen.
    Er kam genau in dem Moment bei der Veranstaltung an, als sie zu Ende ging. Der Moderator war ein blasser, bärtiger Mann in den Dreißigern mit nervösem, neurasthenischem Auftreten und traurigen Augen. Er unterhielt sich mit zwei Frauen, die dem Anschein nach Mutter und Tochter waren und beide knittrige Kleidung aus Biofasern in Erdtönen trugen. Die Haare der Mutter waren lang und grau, die Tochter trug ihre dunklen Locken kurz geschnitten. Ihre Frisur erinnerte ihn an Kathy. Andererseits erinnerte ihn zurzeit alles an sie.
    François saß alleine im hinteren Teil des Raums und las einen Flyer, der verteilt worden war. Lee registrierte auf den leeren Stühlen verstreut ein paar weitere. Sie machten Werbung für den nächsten Vortrag: EIN BEWUSSTES LEBEN FÜHREN .
    Lee ging zu François und setzte sich neben ihn.
    »Und, wie war der

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