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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Vortrag?«
    François zuckte die Achseln. »Hab schon bessere gehört. Er hat Sartre falsch zitiert. Hab ’ne Menge gelesen«, erklärte er als Reaktion auf Lees überraschtes Gesicht.
    »Ich bin beeindruckt.«
    »Müssen Sie nicht. Ich bin ein totaler Freak.« Er stand auf und reckte seinen spindeldürren Oberkörper. »Lassen Sie uns ins Café des Artistes gehen. Ich sterbe vor Hunger.«
    »Ist das nicht ein bisschen teuer?«
    François tat seinen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Meine Eltern haben dort eine Art Konto. Ich kann jederzeit hin.«
    Lee runzelte die Stirn. »Ich möchte Ihren Eltern nicht zur Last fallen.«
    »He, machen Sie sich keine Gedanken, die sind stinkreich. Sie sind mein Gast. Die gucken nicht mal auf die Rechnung. Die wird jeden Monat automatisch abgebucht. Und außerdem können Sie du zu mir sagen.«
    »Ich glaube wirklich nicht –«
    »He, wollen Sie mit mir sprechen oder nicht?«
    Er musste zugeben, dass François am längeren Hebel saß.
    »Also schön. Geh voran, Macduff.«
    François lächelte und stopfte sich den Flyer in die Gesäßtasche. » Macbeth zitieren – bringt das nicht Unglück?«
    Lee verdrehte die Augen. »Du hast recht – du bist ein Freak.«
    Sie gingen die drei Blocks zum Restaurant am Central Park entlang, während die Septembersonne am Himmel über dem Hudson River tiefer sank. Die Blätter an den Bäumen im Park waren von einem düsteren, müden Grün, als warteten sie nur darauf, dass der Sommer endlich vorbeiging. Sie verströmten einen trockenen, staubigen Geruch, den Geruch der Niederlage.
    Das Café des Artistes war womöglich das schönste Restaurant von New York, auf jeden Fall aber eines der romantischsten. Seine Geschichte versetzte einen ebenso wie die berühmten Wandmalereien von herumtollenden nackten Nymphen in eine frühere Zeit der Stadt zurück. Es befand sich im Stil von Neogotik und Tudor errichteten Hotel des Artistes, einem Apartmenthotel mit Mietwohnungen, und diente ursprünglich den darin logierenden Künstlern. Da früher nur wenige New Yorker Apartments eine eigene Küche hatten, konnten sie sich ihr Essen selbst kaufen und im Café zubereiten lassen.
    Die Wandmalereien der nackten Frauen mit ihrem Flair frivoler Unschuld waren ein Werk von Howard Chandler Christy, einem Mieter des Apartmenthotels. Es heißt, er habe sie im Tausch gegen Kost und Logis gemalt.
    Als François den Empfangsraum mit seinen opulenten Arrangements von Topfpflanzen und frischem Obst betrat, wurde er herzlich vom Oberkellner begrüßt, einem kleinen Mann mit glatt zurückgekämmten Haaren und einem schmalen Menjoubärtchen, der direkt von einer Statistenagentur zu stammen schien.
    »Monsieur François, wie schön, Sie zu sehen!« Sogar sein Akzent war klischeehaft – unbestimmt europäisch, vielleicht französisch, vielleicht aber auch nur der eines Schauspielers, der vorgibt, Franzose zu sein.
    »Hallo, Abelard«, entgegnete François mit der lässigen Überlegenheit von jemandem, dem sie in die Wiege gelegt worden war.
    Abelards Miene nahm einen betrübten Ausdruck an. »Was für schreckliche Nachrichten von Ihrer Schwester. Wie geht es Ihren Eltern?«
    François machte ein saures Gesicht. »Sie sind nach Afrika zurück, noch mehr Waisen suchen, die sie retten können. Haben Sie einen schönen Tisch für mich und meinen Freund hier?«
    »Für Sie gibt es immer einen schönen Tisch«, erwiderte Abelard und führte sie an Liebespaaren und Geschäftsleuten beiderlei Geschlechts mit Spesenkonto vorbei. Alle waren teuer gekleidet. Lee kam sich in seiner Chinohose und den Bootsschuhen richtig schäbig vor. In einer der Nischen erkannte er einen lokalen Nachrichtensprecher und an einem anderen Tisch in einer Gruppe Leute eine bekannte Broadway-Schauspielerin.
    »Also, worüber wollen Sie mit mir sprechen?«, fragte François und glitt auf die lederbezogene Bank, die der Oberkellner ihnen offerierte. Auf dem Wandbild hinter ihm reckte eine kecke Brünette mit ebenso kecken Brüsten einem unsichtbaren Betrachter ihre Brustwarzen entgegen. Ihr mädchenhaftes Gesicht schaffte es auf irgendeine Weise, die ganze Bandbreite von Unschuld bis Vulgarität auszudrücken. Es war eine Einladung ohne Versprechen, die Verführung durch ein Geschöpf, das möglicherweise nicht wusste, worauf es sich einließ – eine wollüstige Jungfrau. Sie war die Phantasie jedes Mannes.
    »Gefällt Ihnen das nicht?«, sagte François und lehnte sich in dem butterweichen Leder zurück, als

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