In Todesangst
sagte ich. Milt sah mich unverwandt an, während ich den rechten Geweihteil berührte, der nur noch an ein paar Fäden hing. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.«
Und während ich mit Milt auf dem Boden saß, brachen plötzlich alle Dämme bei mir.
Ich weinte wie ein kleines Kind.
Geschlagene drei Minuten hockte ich einfach nur da und ließ meinen Gefühlen freien Lauf, ehe ich mich mit aller Macht zusammenriss, ins Bad ging und mir das Gesicht wusch. Dann verließ ich das Zimmer.
***
Milt in der Hand, ging ich zum Aufzug, als ich plötzlich gedämpfte Schreie hörte, die hinter einer Tür am Ende des Gangs hervordrangen.
Wieder hörte ich einen leisen Schrei.
Eine Frauenstimme. Und die Frau schrie nicht aus Lust oder Angst. Sondern vor Schmerzen.
Ich lief den Gang hinunter, blieb stehen und horchte, aus welchem Zimmer die unterdrückten Schreie kamen.
»Aah!«, schrie die Frau. Ein paar Sekunden war alles still, dann hörte ich sie wieder. »Aah!«
Leise setzte ich einen Fuß vor den anderen, während ich weiter lauschte. Im selben Augenblick drang eine andere Frauenstimme an meine Ohren. »Wann du nach Hause gehst, bestimme ich!«, keifte sie. »Hier wird gearbeitet, verstanden! Dir werde ich’s zeigen, du Miststück!«
Jetzt wusste ich, welche Tür es war.
Dann hörte ich ein scharfes Zischen. Zack!
Die Frau schrie laut auf. »Aaah!«
Ich griff in die Tasche und zog die Codekarte heraus. Veronica hatte gesagt, es sei der Generalschlüssel – was bedeutete, dass ich damit alle Zimmertüren öffnen konnte.
Nur allzu gern hätte ich mir eingeredet, dass ich einer Frau in Not helfen wollte – Tatsache aber war, dass es mir in erster Linie um meine Tochter ging.
Syd. Ich hatte Angst, dass es Syd sein könnte.
Ich zog die Karte durch den Schlitz und wartete auf das Blinken des grünen Lichts.
Und da war es. Ich stieß die Tür auf und stürmte in das Zimmer.
»Was, zum Teufel, ist hier …«
Abrupt blieb ich stehen.
Vor mir stand die Frau, die mir zuletzt einen Kaffee am Frühstücksbüffet eingeschenkt hatte. Cantana. Sie trug ihre Hoteluniform. In der rechten Hand hielt sie einen dünnen Metallstab. Auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es sich um eine alte Autoantenne handelte.
Vor dem Bett kniete eine andere Frau. Sie trug die gleiche Kleidung wie Cantana, mit dem Unterschied, dass der Stoff ihrer Uniform am Gesäß blutgetränkt war. Als sie den Kopf wandte, sah ich, dass es sich um eine junge Asiatin handelte. Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Was wollen Sie?«, herrschte Cantana mich an. »Wie sind Sie hier reingekommen?«
Ihr Auftritt verschlug mir die Sprache. Ich trat zwei Schritte zurück, während sie mich ankeifte: »Was haben Sie hier zu suchen? Machen Sie, dass Sie hier rauskommen!«
Ich war so perplex, dass ich mich von ihr auf den Gang drängen ließ. Dann schlug sie mir die Tür vor der Nase zu.
Verdattert stand ich da und musste mich einen Augenblick lang sammeln. Und als ich den Blick hob …
Verdammt, was war das?
Ich starrte auf ein kleines, quadratisches Glasfenster in der Wand, auf dem in Großbuchstaben »FEUERLÖSCHER« stand.
Und diese Aufschrift sah ich nicht zum ersten Mal, das wusste ich genau. Es fehlte das erste E.
VIERUNDDREISSIG
Das Foto.
Das Foto, das Yolanda Mills mir geschickt hatte, um mich glauben zu machen, dass sich Syd in Seattle aufhielt.
Auf dem Bild war Sydney mit ihrem korallenroten Halstuch zu sehen gewesen, wie sie gerade an einem Fenster mit der Aufschrift »FEUERLÖSCHER« vorbeiging. Und auch auf dem Foto hatte das erste E gefehlt.
Zwar konnte ich keinen direkten Vergleich anstellen, da ich die Aufnahme nicht bei mir hatte, aber ich war felsenfest davon überzeugt, dass es keinen Zweifel gab. Genau hier war das Bild von Syd gemacht worden.
Sie war in diesem Hotel gewesen.
Sie hatte hier gearbeitet.
Tatsächlich hier gearbeitet. Sie hatte mich nicht belogen.
Der Rest der Belegschaft hatte gelogen. Alle, die hier arbeiteten, waren darauf geeicht worden, dieselbe Lügengeschichte zu erzählen. Dass sie Syd nie im Leben gesehen hatten.
Alle hier hatten mir dieselben Lügen aufgetischt.
Doch wenn das tatsächlich der Wahrheit entsprach, war ich hier alles andere als sicher. Nicht, wenn jemand merkte, dass ich Bescheid wusste – ganz besonders nachdem ich Cantana bei der Züchtigung der jungen Asiatin erwischt hatte. Was auch immer sich in dem Zimmer abgespielt haben mochte, es handelte sich ganz
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