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In Todesangst

Titel: In Todesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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ein paar Zentimeter zu kurz waren, und hatte garantiert stets ein paar Kondome in ihrer Handtasche. Und auf den Mund gefallen war sie beileibe auch nicht.
    Allesamt Gründe, sich Sorgen um sie zu machen. Insgeheim aber bewunderte ich ihren Freiheitsdrang.
    Syd hatte Patty letztes Jahr im Sommerkurs an der Schule kennengelernt. Syd war in Mathe durchgefallen und hatte den Stoff in einem vierwöchigen Kurs nachholen müssen; sie hatte alle Hände voll zu tun gehabt, die zusätzlichen Schulstunden mit ihrem Ferienjob unter einen Hut zu bringen. Eigentlich war Syd im Kopfrechnen kaum zu schlagen, wenn es darauf ankam. Wenn man ihr fürs Aufräumen der Garage fünf Dollar die Stunde versprach und sie nach sechs Stunden und fünfundvierzig Minuten fertig war, konnte sie einem genau sagen, was sie bekommen sollte, ohne dabei einen Taschenrechner zur Hand nehmen zu müssen. Aber Schule hat leider nur wenig mit Kopfrechnen zu tun. Wer seine Hausaufgaben nicht erledigt und sich nicht auf Mathe-Tests vorbereitet, muss eben im Sommerkurs nachsitzen.
    Und ebendort hatten sie nebeneinandergesessen und schnell herausgefunden, dass sie mehr miteinander verband als die Verachtung für ein System, das sie zum Büffeln zwang, während alle anderen sich draußen in der Sonne aalen konnten.
    Musik, Filme, Jungs, Junkfood – sie hatten reichlich Gemeinsamkeiten. Nur ihr familiärer Hintergrund war völlig verschieden.
    Keine Frage, Syd kam aus einem »kaputten Elternhaus«, wie sie selbst es zu nennen pflegte, doch wenn unsere Familie kaputt war, dann war Pattys von einer Cruise-Missile getroffen worden. Soweit ich gehört hatte, bekam sie kaum Unterstützung von ihren Eltern. Syd zufolge war ihre Mutter Alkoholikerin und hatte genug damit zu tun, ihr eigenes Leben halbwegs auf die Reihe zu kriegen, um sich noch groß um ihre Tochter kümmern zu können. Ihr Vater arbeitete momentan in einer Bude, in der man sich mit Zigaretten und Alkohol eindecken konnte, hielt es aber anscheinend in keinem Job sonderlich lange aus. Trotz seiner desolaten Finanzlage fanden sich immer noch genug Frauen, die vorübergehend einen Narren an ihm gefressen hatten. Laut Sydney hatte Pattys Mutter ihm den Laufpass gegeben, als
    Patty noch ein Kleinkind gewesen war. Trotzdem fanden die beiden zwischendurch immer wieder für ein paar Tage oder Wochen zusammen, bis Pattys Mutter die Nase wieder mal voll hatte und ihn achtkantig hinauswarf.
    »Irgendwie bin ich sogar froh, dass es bei dir und Mom endgültig war«, hatte Syd einmal zu mir gesagt. »Ich würde irre werden, wenn ihr euch andauernd versöhnen und dann doch wieder trennen würdet. So macht man sich nur Hoffnungen, und dann geht doch alles wieder den Bach hinunter.«
    Obwohl es zwischen Pattys Eltern nicht immer so katastrophal gelaufen war. Anfangs hatten sie den amerikanischen Traum gelebt. Das volle Programm: Gute Jobs, ein Haus mit Fitnessraum, ein Kombi in der Einfahrt, zwei Wochen Florida-Urlaub im Jahr, Ausflüge nach Disney World. Dann aber hatte Pattys Vater seinen Job in einem großen Flugzeugwerk verloren, nachdem er ein paar Werkzeuge gestohlen hatte, und von da an ging es nur noch abwärts. Nachdem Pattys Vater ausgezogen war, begann ihre Mutter zu trinken. Und Patty musste früh lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.
    Susanne und ich hatten Syd des Öfteren gewarnt. Ja, deine Freundin hat harte Zeiten durchgemacht, aber pass auf, dass sie dich nicht auf die schiefe Bahn bringt. Lass dich bloß zu nichts anstiften, was du nachher bereuen könntest.
    Syd versicherte uns, dass wir uns keinerlei Sorgen zu machen bräuchten. Patty sei in Ordnung, eine echt gute Freundin, auch wenn sie zuweilen über die Stränge schlug. »Sie ist wie eine Seelenverwandte für mich«, hatte Syd einmal zu mir gesagt. »Oft platzen wir mit genau denselben Sachen heraus, wissen instinktiv, was der andere gerade sagen will. Ich brauche Patty nur anzusehen, und schon muss sie loslachen. Und manchmal muss ich nur an sie denken, und schon klingelt mein Handy – ich schwör’s!«
    Wenn Syd bei mir wohnte, war Patty fast ständig bei uns, und offenbar verbrachten die beiden auch viel Zeit miteinander, wenn Syd bei Susanne war. Trotz ihres demonstrativ zur Schau getragenen Zynismus verwandelte sich Patty immer wieder in ein kleines Mädchen, wenn wir Schokoladenkekse backten. Der Umgang mit Syd schien sich positiv auf sie auszuwirken; einen schlechten Einfluss ihrerseits konnte ich nicht feststellen.
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