Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In Todesangst

Titel: In Todesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
Vom Netzwerk:
mir«, hatte sie früher immer zu Syd gesagt. »Hier schreit wenigstens keiner besoffen rum.«
    Ich hätte sie am liebsten in die Arme genommen.
    Hinter Pattys harter Fassade verbarg sich ihr ausgeprägter Überlebensinstinkt. Sie lief nicht mit rosaroter Brille durchs Leben. In ihren Augen war die Welt ein gnadenloser Ort, an dem man niemandem trauen konnte außer sich selbst. Ich mochte sie, bewunderte ihre Einstellung sogar. Das Leben hatte ihr übel mitgespielt, und sie versuchte das Beste daraus zu machen.
    Ich hatte sie nicht hereinkommen sehen, aber normalerweise drehten sich alle nach ihr um, wenn sie sich mit wippenden Brüsten und schwingenden Hüften den Weg durch unseren Ausstellungsraum bahnte. Patty wusste um ihre körperlichen Vorzüge und setzte sie gezielt ein. Heute trug sie eine Jeans mit modischen Rissen an Knien und Oberschenkeln und ein dunkelblaues T-Shirt, das sowohl ihren gepiercten Nabel als auch den einen Träger ihres schwarzen Spitzen-BHs sehen ließ. In ihrem dunkelblonden Haar schimmerten ein paar pinkfarbene Strähnen, und sie trug kein Make-up – außer knallrotem Lippenstift.
    Als ich mich setzte, sagte sie: »Hi, Mr B. Sie sehen echt scheiße aus. Alles okay?«
    Ich nickte ihr zu. »Hallo, Patty.«
    »Was ist los? Sie sind ja leichenblass.«
    »Ach … nichts.«
    »Ganz üble Nummer«, sagte sie.
    »Kann man wohl sagen.«
    Sie verzog die Nase. »Was ist das für ein Geruch?«
    »Kuhmist«, sagte ich.
    »Hallo, Mr Blake«, rief eine andere Stimme. Ich wandte mich um, sah aber im ersten Moment niemanden.
    »Jeff ist mitgekommen«, sagte Patty. »Da drüben sitzt er.«
    Sie deutete zu einem Accord hinüber, hinter dessen Steuer Pattys Freund, Jeff Bluestein, saß und an den Knöpfen herumspielte.
    »Hi, Jeff«, sagte ich und winkte ihm zu.
    Er lächelte. »Alles in Ordnung mit der Website?«, fragte er.
    »Alles klar.«
    »Viele Besucher?«
    »Einige.«
    Jeff richtete sein Augenmerk wieder auf das Armaturenbrett. Patty ließ den Blick durch den Showroom schweifen. »Glauben Sie, ich könnte hier ’nen Job kriegen?«, fragte sie.
    »Was für einen?«
    »Na, als Verkäuferin«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, wie man Autos repariert, also bleibt wohl nur Verkaufen, oder?«
    Womit sie hoffentlich nicht sagen wollte, dass man unweigerlich als Verkäufer endete, wenn man keine anderen Talente vorweisen konnte.
    »Aha«, sagte ich. »Du interessierst dich also neuerdings für Autos?«
    Patty zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht. Außerdem müsste ich dann wohl was an meinem Outfit ändern. Mit der Cracknutten-Nummer käme ich wahrscheinlich bei den konservativen Spießern mit Kindern, die sich ’ne Familienkutsche kaufen wollen, nicht so super an, was?«
    »Könnte sein«, erwiderte ich. Patty arbeitete immer irgendwo als Aushilfe, wenn auch meist nicht für sehr lange – normalerweise in irgendwelchen angesagten Klamottenläden für Mädels, die im gleichen Stil wie sie herumliefen. Momentan arbeitete sie in einem Laden, in dem man Modeschmuck, Haarbänder und anderen Krimskrams kaufen konnte.
    »Darf ich Ihnen mal was sagen? Ganz ehrlich?« Sie bewegte den Kiefer, als hätte sie ein Kaugummi im Mund, was aber nicht der Fall war.
    »Ehrlich ist immer gut, Patty.«
    »Na ja«, sagte sie. »Wieso muss eigentlich jeder Van auch noch einen eingebauten DVD-Player haben? Ich meine, arbeiten die an der totalen Verblödung? Sehen die Kids zu Hause nicht schon genug in die Glotze?«
    Tja, damit hatte sie wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.
    »Wohl wahr«, stimmte ich zu. »Als Syd klein war, hat sie mir immer Löcher in den Bauch gefragt, wenn wir mit dem Auto unterwegs waren. Sie wollte wissen, wie all die anderen Autos hießen, und als sie sechs war, konnte sie genau unterscheiden, ob es sich um einen Ford, einen Honda oder einen Toyota handelte. Und das hätte sie wohl kaum gekonnt, wenn sie sich Die kleine Meerjungfrau angeguckt hätte, statt aus dem Fenster zu sehen.«
    Ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete.
    »Exakt«, bestätigte Patty. Sie schwieg einen Moment. Vielleicht war ihr gerade in den Sinn gekommen, wie selten ihr Vater sie im Auto mitgenommen hatte.
    Jeff, ein Schrank von Kerl, hievte sich schwerfällig aus dem Accord und setzte sich hinters Steuer eines Civic.
    »Sie werden sich wundern«, sagte Patty. »Syd und ich haben uns nämlich erst kürzlich mal wieder Die kleine Meerjungfrau angesehen. Und dabei haben wir geweint, als wären wir wieder

Weitere Kostenlose Bücher