In Todesangst
hatten eine Funkverbindung, so dass ich Syds Computer überall benutzen konnte. Ich kramte mein Handy aus meiner Jackentasche und wählte die erste der fünf Nummern, die auf dem Bildschirm erschienen.
»Zentrum für Jugendberatung«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Hi«, sagte ich. »Ich bin auf der Suche nach einer gewissen Yolanda Mills. Arbeitet sie zufällig bei Ihnen?«
»Tut mir leid«, antwortete die Frau am anderen Ende der Leitung. »Der Name sagt mir gar nichts.«
»Trotzdem vielen Dank«, sagte ich, legte auf und wählte die nächste Nummer. Von oben hörte ich Kates gedämpfte Stimme.
»Hallo?« Diesmal war ein Mann am Apparat.
»Hallo, mein Name ist Blake. Spreche ich mit der Kontaktstelle ›Hope Shelter‹?«
»Tun Sie.«
»Ich würde gern mit Yolanda Mills sprechen.«
»Mit wem?«
»Yolanda Mills. Arbeitet sie nicht bei Ihnen?«
»Nie gehört«, sagte er. »Tut mir leid.«
Ich bedankte mich und legte auf.
»Hast du schon was?«, rief Kate.
»Nichts«, rief ich zurück. »Und du?« »Dito.«
Auf der Anrichte standen zwei Teller mit Huhn, Shrimps und gebratenem Reis, aber ich verspürte nicht den geringsten Hunger. Obwohl ich so gut wie nichts im Magen hatte, fühlte ich mich, als müsste ich mich jede Sekunde übergeben.
Ich rief die nächsten beiden Nummern an, wiederum ohne Erfolg, und wollte es gerade mit der letzten Nummer versuchen, als Kates Stimme durchs Haus gellte: »Tim!«
Ich klappte mein Handy zu und lief die Treppe hinauf. »Hast du sie gefunden?«, platzte ich heraus.
»Da ist gerade eine Mail gekommen«, sagte sie.
Yolanda Mills hatte geantwortet. Ich las:
»Sehr geehrter Mr Blake: Vielen Dank für Ihre E-Mail. Wie dumm von mir, dass ich die wichtigsten Informationen vergessen habe. Ich arbeite für ein christliches Jugendzentrum. Es heißt ›Second Chance‹ und liegt in der Innenstadt von Seattle. Da ich mich unter anderem auch um die täglichen Mahlzeiten kümmere, bin ich häufiger unterwegs, aber Sie können mich jederzeit auf dem Handy erreichen. Meine Nummer ist …«
Ich griff zum Telefon und wählte.
»Und wenn das eine Verrückte ist?«, fragte Kate, als ich die letzte Ziffer eingab. »Was, wenn dir bloß jemand einen bösen Streich spielen will? Da draußen gibt es jede Menge Leute mit miesem Charakter.«
Das war mal wieder typisch für Kate, doch auch wenn sie womöglich gar nicht falschlag, musste ich das Risiko eingehen. Während der Rufton erklang, Tausende von Meilen entfernt, sagte Kate: »Wenn sie Geld will oder nach einer Belohnung fragt, hast du den Beweis, dass sie …«
Ich hob die Hand und lauschte angestrengt.
Und dann meldete sich eine Stimme.
»Hallo?«
Eine Frau. Bislang hatte sie zwar nur ein Wort gesagt, aber sie klang relativ jung.
»Spreche ich mit Yolanda Mills?«
»Mr Blake?«, fragte sie.
»O Gott.« Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Wir haben versucht, Sie über das Online-Telefonbuch und Google ausfindig zu machen, hatten aber kein Glück. Danke für Ihre Mail. Sie wissen gar nicht, wie viel mir das bedeutet.«
»Ich hoffe, ich kann Ihnen weiterhelfen.«
»Wann haben Sie Syd gesehen?«
»Vor zwei oder drei Tagen, glaube ich.«
»Was hatten Sie für einen Eindruck? War alles okay mit ihr? War sie verletzt? Oder wirkte sie krank?«
»Nein, sie war gesund und munter. Immer vorausgesetzt, dass es tatsächlich Ihre Tochter war. Sie ist zweimal mittags zum Essen vorbeigekommen.«
Ich konnte es nicht fassen. Meine Tochter, die in einer Anlaufstelle für Ausreißer und obdachlose Jugendliche zu Mittag aß. Was hatte sie dorthin verschlagen? Was machte sie in einer Großstadt am entgegengesetzten Ende Amerikas?
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Nicht viel. ›Na, Schätzchen, wie geht’s dir?‹, und das war’s dann auch schon.«
»Und was hat Syd darauf geantwortet?«
»Sie hat bloß gelächelt.«
»War jemand bei ihr?«
»Nein, sie war allein. Sie sah irgendwie traurig aus.«
Ihr beiläufiger Satz traf mich mitten ins Herz.
»Und das war vorgestern?«
»Lassen Sie mich kurz nachdenken«, sagte Yolanda Mills. »Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich sie vor vier Tagen zum ersten Mal gesehen. Und zwei Tage später kam sie noch mal mittags vorbei. Ja, das war vorgestern.«
Was wiederum hieß, dass Syd sich schon eine Weile in Seattle aufhielt. Vielleicht kam sie ja regelmäßig in Yolandas Anlaufstelle vorbei. Und somit bestand auch die Chance, dass ich sie aufspüren konnte.
»Kommen die Kids
Weitere Kostenlose Bücher