In Todesangst
christlich.«
Detective Jennings gab ein verächtliches Schnauben von sich.
»Das sagt sie jetzt. Aber wenn Sie erst mal dort sind … Ich telefoniere, Cassie! Bin gleich bei dir!« Sie seufzte leise, ehe sie weitersprach. »Gut möglich, dass ihr dann irgendetwas einfällt, wie sie Ihnen das Geld aus der Tasche ziehen kann. Alles schon da gewesen.«
»Jetzt malen Sie mal nicht den Teufel an die Wand.« Ich war felsenfest davon überzeugt, dass Yolanda Mills keine Betrügerin war. »Endlich ein Lichtblick. Die Frau war absolut glaubwürdig.«
»Inwiefern?«, fragte Detective Jennings. »Sie kennen sie doch überhaupt nicht. Wie ist diese Frau überhaupt auf Sie gekommen?«
»Sie checkt regelmäßig Websites über verschwundene Kids – für den Fall, dass ihr jemand bei der Arbeit begegnet ist.«
»Klingt komisch.«
Ich hatte keine Lust, mich weiter entmutigen zu lassen. »Was würden Sie tun, wenn Cassie verschwunden wäre?«, fragte ich.
Sie schwieg eine Weile. »Warum sollte ich Sie zurückrufen, Mr Blake?«, sagte sie dann. »Wollten Sie mir bloß erzählen, dass Sie nach Seattle fliegen, oder haben Sie ein bestimmtes Anliegen?«
»Ich wollte Sie bitten, sich mit der Polizei in Seattle in Verbindung zu setzen. Syd könnte doch zur Fahndung ausgeschrieben werden, oder?«
»Ich werde die Kollegen informieren, aber lassen Sie mich ehrlich sein. Wegen einer Ausreißerin werden sie sich nicht sehr weit aus dem Fenster hängen. Vielleicht gelingt es mir, sie wegen der Blutspuren an Sydneys Wagen davon zu überzeugen, dass es sich möglicherweise um eine ernste Sache handelt, aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen.«
»Sind die Blutspuren schon untersucht worden?«, fragte ich.
»Das dauert noch, Mr Blake. Ich denke, wir wissen mehr, wenn Sie aus Seattle zurück sind. Und falls Sie Ihre Tochter finden sollten, spielt die DNA-Analyse womöglich gar keine Rolle mehr.«
***
Ich ging in die Küche und wischte erst einmal den Boden, ehe ich mich über den Teller hermachte, den Kate nicht an die Wand geworfen hatte. Das Essen war längst kalt geworden, aber ich schlang es trotzdem in mich hinein.
Dann ging ich wieder nach oben und packte alles Notwendige in eine kleine Reisetasche, die ich mit an Bord nehmen konnte. Ich wollte nicht noch zusätzliche Zeit an der Gepäckausgabe verplempern.
Anschließend ging ich in Syds Zimmer und ließ den Blick über all die Stofftiere schweifen, die sich über die Jahre in ihrem Zimmer angesammelt hatten. Kleine Hunde und Hasen, die auf den Regalen und zwischen den Kissen auf ihrem Bett saßen, ein abgegriffener Mini-Elch, den Syd von meiner mittlerweile verstorbenen Mutter geschenkt bekommen hatte, als sie zwei Jahre alt gewesen war. Sie hatte ihn so oft abgeschmust, dass von seinem Fell fast nichts mehr übrig war. In mancher Hinsicht bleiben junge Frauen eben doch kleine Mädchen, auch wenn sie mit Nasensteckern und lila Strähnen im Haar herumlaufen.
An jenem Tag, als Syd verschwunden war, hatte ihr Zimmer ziemlich chaotisch ausgesehen. Das Bett war ungemacht, und die Stofftiere lagen kreuz und quer im Raum verstreut. Schließlich hatte ich das Bett gemacht und die Tiere ordentlich aufgereiht, sozusagen als Willkommensgruß, wenn Syd wieder nach Hause kam.
Wahrscheinlich hatten ihre Stofftiere das Warten ebenso satt wie ich.
Ich beschloss, dass mich eins von ihnen nach Seattle begleiten sollte.
Und schließlich entschied ich mich für den Elch. Auf dem Namensschildchen um seinen Hals stand »Milt«. Wegen des Geweihs passte er gar nicht so leicht in die Reisetasche. Ich nahm ihn trotzdem mit, weil ich wusste, dass Syd ihn am liebsten mochte.
Dann ging ich ins Bett, auch wenn ich kaum damit rechnete, schlafen zu können. Aber irgendwann dämmerte ich doch ein; mit den neuesten Entwicklungen schien auch ein Teil meiner inneren Anspannung gewichen zu sein.
Mein letzter Gedanke galt Yolanda Mills’ Mann; ich hoffte inbrünstig, dass er mir das Foto schicken würde, sobald er von der Nachtschicht gekommen war.
***
Kurz vor sechs stand ich auf und checkte zuallererst meine E-Mails. Nichts. Nachdem ich mich rasiert hatte, ging ich abermals an den Computer.
Immer noch nichts. Dann fiel mir ein, dass es in Seattle ja erst drei Uhr morgens war.
Was mich nicht davon abhielt, alle fünf Minuten zum Computer zu eilen.
Kurz nach neun trudelte eine Mail ein.
Eine kurze Nachricht von Yolanda Mills: »Ich hoffe, das ist sie. Melden Sie sich.«
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