In Todesangst
drehte ich den Fernseher zur Seite, weil mich der Widerschein des Bildschirms zu nerven begann.
Ich verhielt mich wie ein Vollidiot. Wollte ich allen Ernstes die Nacht damit verbringen, aus dem Fenster zu glotzen und darauf zu warten, dass der Blumenbote von Shaw Flowers irgendwann in seine Bude zurückkehrte?
Aber ich hatte ja sonst nichts zu tun.
Milt purzelte vom Bett, als ich das eine Kissen nahm, es vors Fenster legte und den Kopf in die Arme stützte. Gar nicht so unbequem.
Und über diesem Gedanken schlief ich ein.
Schließlich wachte ich von meinem eigenen Schnarchen wieder auf. Der Fernseher lief nach wie vor. Als ich den Kopf hob, fiel das Kissen auf den Boden.
Ich war total groggy und desorientiert. Ein paar Sekunden lang fragte ich mich, wo ich überhaupt war. Langsam dämmerte es mir. Ich warf einen Blick auf den Radiowecker auf dem Nachttisch. Es war 00:04 Uhr.
Ich bin im Just Inn Time. Ich musste mir ein Hotelzimmer nehmen, weil bei mir zu Hause eingebrochen worden ist.
Dann fiel es mir wieder ein.
Ja, natürlich.
Ich hatte den Blumenladen im Auge behalten wollen.
Ich blinzelte ein paarmal und sah aus dem Fenster. Auf der Straße war kaum noch jemand unterwegs. Zwei Pick-ups standen vor dem Sexshop, der immer noch geöffnet hatte.
Im selben Augenblick fiel mir der Toyota-Van ins Auge. Ians Lieferwagen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er schon zurück war.
Moment …
Jemand kam um den Van herum und marschierte zur Beifahrertür. Ian, wenn mich nicht alles täuschte. Anscheinend war er gerade erst zurückgekommen.
Er öffnete die Beifahrertür, doch niemand stieg aus. Er beugte sich in den Wagen und verharrte ein paar Sekunden; irgendwie kam es mir so vor, als würde er versuchen, etwas auf seine Arme zu hieven.
Dann trat er vorsichtig zwei Schritte zurück. Über seiner Schulter hing etwas, das im Dunkel wie ein großer, schlaffer Sack aussah.
Er trat noch einen Schritt zurück und schmiss die Tür zu. Der trübe Schein einer Straßenlaterne fiel in seine Richtung. Es herrschte gerade genug Licht, um zu erkennen, dass es sich bei dem Bündel um eine menschliche Gestalt handelte.
Eine Gestalt mit langen Haaren. Ich hätte schwören können, dass ich einen blonden Schimmer gesehen hatte.
Ein Mädchen.
Vollkommen reglos.
SIEBZEHN
Barfuß lief ich zur Tür, blieb stehen und schnappte mir meine Schuhe.
Ich riss die Tür auf, rannte zum Fahrstuhl und drückte auf den Knopf. Mein Blick fiel auf die Fahrstuhlanzeige; beide Lifts waren unten in der Lobby. Ich streifte mir meine Schuhe über die nackten Füße und band, jeweils auf einem Bein hüpfend, die Schnürsenkel zu.
Der Lift ließ weiter auf sich warten.
Im selben Augenblick ging mir auf, dass ich den Knopf – einen dieser Sensoren, die auf Berührung reagieren – nicht richtig erwischt hatte.
»Scheiße«, stieß ich hervor, lief zur Treppe am Ende des Flurs und stürmte sie hinunter, als gelte es, den Rekord in einer neuen olympischen Disziplin zu brechen. Die Tür des Notausgangs knallte mit voller Wucht gegen die Wand, als ich sie aufstieß. Während ich am Empfang vorbeirannte, rief ich Carter zu: »Rufen Sie die Polizei!«
Die automatischen Glastüren öffneten sich nicht schnell genug, und um ein Haar wäre ich ungebremst durch die Scheiben gekracht, konnte mein Tempo aber in letzter Sekunde doch noch drosseln.
Draußen fiel mir siedend heiß ein, dass ich meine Autoschlüssel vergessen hatte. Egal – es hätte mich ohnehin bloß aufgehalten, zu meinem Wagen zu laufen und den Motor zu starten.
Als ich quer über die Straße rannte, musste ich lediglich ein Taxi passieren lassen; es herrschte kaum Verkehr um diese Uhrzeit. Die kleine Ladenzeile mit dem Sexshop und dem Blumengeschäft lag noch etwa hundert Meter von mir entfernt. Das Herz schlug mir bis zum Hals; ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so gerannt war, und hoffte bloß, dass ich keinen Herzanfall bekommen würde.
Meine Gedanken überschlugen sich. Es ist Syd. Er hat meine Tochter in seiner Gewalt. Er hält meine Tochter gefangen.
Aber warum, zum Teufel, fuhr er sie in seinem Lieferwagen durch die Gegend? Ja, möglich, dass er sie gerade aus irgendeinem Versteck hierher gebracht hatte. Schließlich konnte er sie wohl kaum in seinem Apartment hinter dem Blumenladen festhalten – das hätte die alte Mrs Shaw doch bestimmt mitbekommen, oder?
Dann hatte ich den Van erreicht.
Hinter dem Blumenladen war es dunkel. Nur über der
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