In Todesangst
Sonnenbrille gefragt habe?
Warum meldest du dich nicht mehr? Ich möchte doch einfach nur wissen, ob alles in Ordnung ist.
Obwohl ich um diese Zeit oft schon bettreif bin, war ich um neun immer noch kein bisschen müde.
Ich beschloss trotzdem, zu Bett zu gehen. Als ich meine Reisetasche öffnete, sah mir Milt der Elch entgegen – Syds Stofftier, das ich mit nach Seattle genommen hatte.
»Oh, Syd«, sagte ich leise, während mich meine Gefühle zu übermannen drohten. Ich nahm den Elch aus der Tasche und setzte ihn auf eins der Kissen.
Dann kramte ich mein Handy heraus und legte es auf den Nachttisch. Ich putzte mir die Zähne, zog mich aus und ging ins Bett. Zehn Minuten lang zappte ich noch durch die Programme, dann machte ich das Licht aus.
Eine halbe Stunde lang starrte ich die Zimmerdecke an.
Durchs Fenster fiel das Licht von Autoscheinwerfern und den Neonreklamen an der Straße herein. Besser, ich zog die Vorhänge zu.
Ich stand auf, tappte über den Teppichboden zum Fenster und blickte hinaus. Auf der Straße vor dem Hotel war nicht mehr viel los; nur auf der Interstate zog ein nicht versiegender Strom von Fahrzeugen vorbei. Seltsam, wie langsam die Autos zu fahren schienen, wenn man sie von oben betrachtete.
Ich hatte gute Sicht auf die unweit entfernt gelegenen Läden, in denen ich in den vergangenen Wochen nach Syd gefragt hatte. Dunkelrot schimmerte die Neonbeleuchtung des Sexshops, der noch geöffnet hatte. Ich beobachtete die einsamen Gestalten, die verstohlen in den Laden huschten und ein paar Minuten später mit braunen Papiertüten wieder herauskamen.
Dann fiel mir ein Mann ins Auge, der um die Ecke des Gebäudes bog, in dem sich der Blumenladen befand.
Er marschierte über den Parkplatz, zielte mit den Aufschlüsseln auf einen Van, worauf die Scheinwerfer einmal kurz aufblinkten. Er öffnete die Fahrertür und stieg ein. Ich war mir nicht ganz sicher, aber offenbar war es der Toyota-Lieferwagen, der zum Blumenladen gehörte.
Ziemlich spät für eine Lieferung. Aber vielleicht durfte Ian den Wagen ja auch nach Ladenschluss benutzen. Vielleicht hatte er noch ein heißes Date.
Er setzte zurück, fuhr an den Straßenrand und wartete kurz, bevor er sich in den Verkehr einfädelte.
Im selben Moment klopfte es an der Tür. Ich schrak zusammen.
Durch das dunkle Zimmer ging ich zur Tür und warf einen Blick durch den Spion. Es war Veronica Harp, die Hotelmanagerin.
»Moment!«, rief ich. »Komme sofort!«
Ich knipste eine Nachttischlampe an, zog Hose und Hemd über und öffnete die Tür.
»Hallo«, sagte ich.
Statt ihrer Hoteluniform trug sie eine auffällig gut sitzende Jeans, Pumps und eine dunkelblaue Bluse. Schwarzes Haar, dunkle, ausdrucksstarke Augen – kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, es mit einer Großmutter zu tun zu haben.
»Verzeihen Sie«, sagte sie, als sie meine nackten Füße und das erst halb zugeknöpfte Hemd sah. »Ich wollte Sie nicht stören.«
»Vergessen Sie’s«, sagte ich. »Ich konnte sowieso nicht schlafen.«
»Ich bin gerade erst gekommen«, sagte sie. »Ich habe Nachtschicht heute. Tja, und als Carter mir erzählt hat, dass Sie sich ein Zimmer bei uns genommen haben …«
»Mir blieb leider nichts anderes übrig«, sagte ich.
»Wieso? Hat Ihnen jemand das Dach überm Kopf angezündet?«
»So könnte man’s auch ausdrücken«, erwiderte ich. »Ich hoffe, dass ich morgen wieder nach Hause kann.«
Es kam mir unhöflich vor, sie vor der Tür stehen zu lassen, also bat ich sie herein. Sie schloss die Tür hinter sich; ihr Blick streifte das ungemachte Bett.
»Nun ja, es freut mich, dass Sie sich für unser Haus entschieden haben«, sagte sie. »Es gibt schönere Hotels in der Gegend.«
Ich lächelte gequält. »Ihres kannte ich einfach am besten.«
»Das stimmt wohl.« Sie lächelte zurück.
Ich trat ans Fenster, um einen kurzen Blick hinauszuwerfen. Da sich das Licht der Nachttischlampe in der Scheibe spiegelte, konnte ich kaum etwas erkennen.
»Ist da draußen irgendwas?«, fragte Veronica.
Von dem Van war nichts mehr zu sehen.
»Nein, nichts Besonderes.« Ich knöpfte mein Hemd zu. »Wie geht’s Ihrem Enkel?«
»Oh, der Kleine ist einfach wunderbar.« Man konnte regelrecht sehen, wie ihr das Herz aufging. »Wie genau er alles um sich herum beobachtet! Ich glaube, er wird eines Tages Ingenieur oder Architekt. Sie müssten mal sehen, wie er mit seinen Klötzchen spielt.«
»Aufgeweckter Junge«, sagte ich. »Weshalb hat Carter Ihnen
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