In Todesangst
Bescheid gegeben? Stört es ihn, dass ich hier bin?«
Veronica lächelte. »Nein. Er hat Sie bloß wiedererkannt, das ist alles.« Sie hielt kurz inne. »Tja, ich hoffe, bei Ihnen zu Hause ist nichts allzu Schlimmes passiert.«
»Wie man’s nimmt«, sagte ich. »Bei mir ist eingebrochen worden.«
Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Du liebe Güte. Ist viel gestohlen worden?«
Ich schüttelte den Kopf. »Anscheinend nur ein bisschen Geld.«
»Das ist ja entsetzlich. Wie soll man sich da noch sicher fühlen?«
»Hmm«, sagte ich. »Darf ich Ihnen eine blöde Frage stellen?«
»Schießen Sie los.«
»Sie haben nicht zufällig ein Fernglas hier im Hotel?«
»Ein Fernglas? Was haben Sie vor? Wollen Sie jemandem hinterherspionieren?« »Ach was.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich wollte mir nur die Zeit vertreiben und die Trucks auf der Interstate beobachten.«
Sie zog leicht verwundert die Augenbrauen hoch, hakte aber nicht weiter nach. »Kann ich sonst etwas für Sie tun? Wir haben zwar keinen Zimmerservice, aber ich kann Ihnen gern eine Pizza bestellen, wenn Sie mögen.«
»Danke, aber ich habe keinen Hunger.«
Sie trat an mein Bett und strich mit der Hand über die Decke. »Sind Sie zufrieden mit Ihrem Zimmer?«
»Ja, alles wunderbar.«
Sie wandte sich zu mir um, stand mir nun direkt gegenüber. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte sie. »Sie wirken so mutlos … so niedergedrückt.«
»Ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll«, sagte ich.
»Das sieht man Ihnen an.«
Ich wollte nicht weiter über mich reden und wechselte das Thema. »Sind Sie … Ist Ihr Mann auch in der Hotelbranche?«
»Er ist vor zwei Jahren gestorben.« Sie schwieg einen Moment. »Herzinfarkt.«
»Das tut mir leid«, sagte ich. »Er muss noch relativ jung gewesen sein, oder?«
»Er war zwanzig Jahre älter als ich«, erwiderte sie. »Er fehlt mir sehr.« Sie berührte mich leicht an der Brust.
»Das verstehe ich«, sagte ich.
Sie senkte den Blick für einen Augenblick, ehe sie wieder zu mir aufsah. »Hätten Sie geglaubt, dass ich bereits einen Enkel habe?«
»Nein«, sagte ich, und ich meinte es auch so. »Nie im Leben.«
Sie trat noch etwas näher und hob das Kinn, doch ehe sie mich küssen konnte, drehte ich den Kopf leicht zur Seite und ließ ihn auf ihre Schulter sinken. Ein paar lange Sekunden hielt ich sie in den Armen, ehe ich mich sachte von ihr löste und einen Schritt zurücktrat.
»Veronica …«
»Schon okay«, sagte sie leise. »Ist doch klar, wenn Ihnen die Sache mit Ihrer Tochter im Kopf herumspukt …«
»Ich …«
»Ich weiß, wie so was ist. Ich habe so viele Schicksalsschläge erlebt, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Aber wenn man sich immer nur seiner Trauer hingibt, kann man am Ende keine Freude mehr empfinden.«
Tatsächlich hätte ich meine Probleme nur allzu gern vergessen. Nur allzu gern hätte ich mich ihr hingegeben, ihre Haut gefühlt, für ein paar flüchtige Momente menschliche Wärme genossen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es nicht richtig gewesen wäre.
Als ich nichts erwiderte, schien sie zu begreifen, dass zwischen uns nichts laufen würde. Sie trat an den Nachttisch und schrieb eine Nummer auf den Notizblock mit dem Logo des Hotels darauf. Dann riss sie das Blatt ab und reichte es mir.
»Wenn Sie irgendwas brauchen oder einfach nur mit jemandem reden wollen, rufen Sie mich an«, sagte sie. »Jederzeit.«
»Danke«, sagte ich.
Als sie gegangen war, lehnte ich mich einen Moment lang gegen die Tür und holte tief Luft. Dann löschte ich das Licht und begab mich erneut ans Fenster.
Je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugter war ich davon, dass mit diesem Ian etwas nicht stimmte. Ein merkwürdiger Typ. Der Bursche war nicht ganz koscher, so viel stand fest.
Ich musste mehr über ihn herausbekommen. Am besten, indem ich den Blumenladen gegenüber im Auge behielt.
Aber Ian war erst vor einer Viertelstunde mit seinem Lieferwagen weggefahren. Möglich, dass er erst in ein paar Stunden zurückkam. Was sollte ich unternehmen? Die ganze Nacht am Fenster sitzen und in die Dunkelheit hinausstarren?
Ich griff nach der Fernbedienung und schaltete CNN an. Die Stimme des Nachrichtensprechers ertönte, aber ich hörte nicht hin.
Ich zog den einzigen Stuhl im Zimmer ans Fenster, setzte mich und nahm meine Amateur-Überwachung wieder auf. Mein Atem beschlug die Scheibe, während ich die Straße und den Blumenladen beobachtete. Nach einer Weile
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