In Todesangst
Hintertür brannte eine trübe Funzel. Rechts davon befand sich ein Fenster, hinter dessen Vorhang ebenfalls Licht brannte.
Ich hielt mich nicht damit auf, erst anzuklopfen, sondern drückte einfach die Klinke herunter.
Abgeschlossen.
Ich warf mich mit voller Kraft gegen die Tür, aber sie gab nicht nach.
Von drinnen ertönte eine Männerstimme: »Wer ist da?«
»Aufmachen!«, brüllte ich. »Los, aufmachen!«
»Verdammt noch mal, wer ist da?«
»Mach endlich auf, du Dreckskerl!«
Ich trat einen Schritt zurück und trat mit voller Wucht gegen die Tür. Sie sprang aus dem Rahmen und wurde nur noch von einer Kette gehalten.
Durch den Spalt erblickte ich Ian, der in einer kleinen Küche stand. Er trug lediglich rote Boxershorts; seine Haut war fahl und von Sommersprossen übersät.
Er stieß einen lauten Schrei aus.
Die Kette riss, als ich nochmals zutrat. Ich brach durch die Tür. »Wo ist sie?«, brüllte ich.
»Raus hier!«, schrie er. »Hauen Sie bloß ab!«
Die Mini-Küche war Teil eines größeren Raums mit Sofa, Fernseher, DVD-Player und Spielkonsole. Die Bude machte nicht viel her, aber für einen jungen, allein lebenden Typ war sie erstaunlich aufgeräumt. In der Spüle befand sich kein schmutziges Geschirr; nirgends waren leere Bierdosen oder Pizzakartons zu sehen. Auf einem Tischchen lag ein akkurater Stapel von Videogame-Magazinen.
»Wo ist sie?«, knurrte ich.
»Was?«
»Ich habe dich gefragt, wo sie ist!«, brüllte ich ihn an.
»Verschwinden Sie endlich!«, schrie er zurück. »Verdammt noch mal, machen Sie sich vom Acker!«
Am anderen Ende des Raums erblickte ich zwei Türen. Ich stieß Ian aus dem Weg und riss die eine Tür auf, sicher, dass sich dahinter ein Schlafzimmer oder ein Bad befand. Aber es war nur ein schmaler Korridor, der in den Blumenladen führte.
Als ich mich zu der anderen Tür wandte, sprang Ian mich wie ein Panther von hinten an, bekam mich am Kopf zu fassen und grub mir die Finger in die Augen.
Er war zwar ein Leichtgewicht, dafür auch um einiges wendiger als ich. Ich versuchte ihn abzuschütteln, aber er hing an mir wie eine Klette – weshalb ich zwei Schritte rückwärts machte und ihn kurzerhand gegen die nächste Wand rammte. Er ließ mich los und ging zu Boden, kam aber sofort wieder hoch. Doch diesmal war ich vorbereitet. Ich ballte die Faust und traf ihn unterhalb seines rechten Auges. Was ihm erst mal den Wind aus den Segeln nahm, so dass ich die andere Tür öffnen konnte.
Dahinter lag das Schlafzimmer.
Es war nicht viel größer als ein begehbarer Schrank. An der einen Wand befand sich eine schmale Kommode; eine offene Tür gab den Blick auf das kleine Bad mit Waschbecken und Toilette frei.
Der Raum bot gerade genug Platz für das Bett.
Unter der Decke lag jemand – den Formen nach zu urteilen definitiv eine junge Frau. Sie bewegte sich nicht. Wahrscheinlich Drogen, dachte ich.
Oder etwas Schlimmeres.
Nur ein paar Strähnen blonden Haars lugten unter der Decke hervor. Und trotz des Lärms war das Mädchen nicht aufgewacht.
Lieber Gott im Himmel …
»Syd«, sagte ich. »Syd?«
Ich hockte mich auf die Bettkante und wollte gerade die Decke von ihrem Körper streifen, als Ian durch die Tür taumelte – und jäh in der Bewegung erstarrte, als er die unbändige Wut in meinen Augen sah.
»Einen Schritt weiter, und ich bringe dich um!« Ich brachte kaum ein Wort hervor, so rau war meine Kehle. Schweiß lief mir von der Stirn; das Hemd klebte buchstäblich an meinem Körper.
Ich zog die Decke zu den Schultern des Mädchens herunter. Etwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Ihr Teint wirkte wie Gummi, und ein eigenartiger Glanz lag auf ihren Zügen.
»Was ist denn das?«
Das Mädchen war nicht Syd.
Es war nicht mal ein Mädchen.
Es war eine Puppe.
ACHTZEHN
Ich wandte mich zu Ian, der im Türrahmen stand und mich anstarrte. Sein Gesicht war rot angelaufen – und zwar offenbar nicht nur wegen des kleinen Gerangels zwischen uns.
»War’s das?«, sagte er leise. Auf seiner Wange begann sich bereits ein Bluterguss zu bilden. »Hauen Sie endlich ab.«
»Ich dachte … Ich dachte, das wäre meine Tochter.«
Ian sah mich nur schweigend an.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Als ich dich draußen gesehen habe …«
»Sie haben mir hinterherspioniert?«
»Ich habe gesehen, wie du etwas hier reingeschleppt hast.«
Ich hob den Arm der Puppe an. Kein Wunder, dass Ian sie so leicht hatte transportieren können. Wahrscheinlich wog sie
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