In tödlicher Gefahr
nicht.“
Abbie fühlte sich plötzlich elend. Zu gern hätte sie das Unbehagen ihrer Übermüdung zugeschrieben, doch der Grund für das flaue Gefühl im Magen war eindeutig Ian. Das Wiedersehen nach all den Jahren ließ eine merkwürdige Vorahnung in ihr aufsteigen. Ohne es genau erklären zu können, wusste sie, dass diese unwillkommene Wiedervereinigung ihr Leben verändern würde. Am liebsten hätte sie sich an ihm vorbeigedrängt, um in ihr Auto zu steigen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Doch eine unbekannte Kraft, ein Zwang, weiter zu hören, was er wollte, ließ sie verharren.
„Wovon sprichst du?“ Ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
„Das Feuer war kein Unfall“, sagte Ian. „Es war das Werk eines Brandstifters.“ Er machte eine Pause, um Wirkung zu erzielen. „Eines Brandstifters, der von deiner Mutter bezahlt worden war.“
4. KAPITEL
A bbie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Sekundenlang konnte sie nicht begreifen, was sie gehört hatte. Als ihr seine Anschuldigung schließlich bewusst wurde, schlug sie ihm mit beiden Händen gegen die Brust. „Du bist krank, Ian. Ich hatte gehofft, die letzten achtundzwanzig Jahre hätten dich verändert. Wie ich sehe, war das ein Irrtum. Du bist noch genauso verdreht wie früher. Und wenn du dir einbildest, dass ich mir deine Lügen weiter anhöre, bist du verrückter, als ich dachte.“
Mit ungeahnter Kraft schob sie ihn aus dem Weg und öffnete die Tür ihres Geländewagens.
„Und wenn ich dir nun sage, ich kann beweisen, dass deine Mutter jemanden für die Brandstiftung bezahlt hat, glaubst du mir dann?“
Sie zitterte so sehr, dass es sie wunderte, wie ruhig sie sprechen konnte. „Wenn du diese Beweise hättest, wärst du schon vor langer Zeit zur Polizei gegangen.“
„Ich habe es erst kurz vor meiner Abreise aus Ohio erfahren. Offenbar war ich nicht der einzige Häftling, der dich an jenem Abend im Fernsehen über deinen Preis, dein erfolgreiches Restaurant und dein Glück hat prahlen hören. Mein Freund erinnerte sich an Irene McGregors früheren Namen – DiAngelo – und zählte zwei und zwei zusammen.“
„Ein Mithäftling?“ Abbie lachte gereizt auf. „Den willst du als Beweis anführen?“
„Häftlinge sind auch Menschen.“
„Es sind Kriminelle, die so selbstverständlich lügen, wie sie atmen.“
„Einige vielleicht, aber Earl Kramer erzählt die Wahrheit über Irene.“
„Woher willst du das wissen?“
Ian verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. „Ich war mit genügend Lügnern zusammen, um zu erkennen, wann ich hereingelegt werde. Und wenn Earl sagt, Irene hat ihn angeheuert, meinen Vater zu töten, glaube ich ihm.“
„Wie lange kennst du den Mann?“
„Zwölf, dreizehn Jahre.“
„Und er hat die ganze Zeit gewartet, dir zu erzählen, dass er das Haus deines Vaters niedergebrannt hat?“ Sie lachte, obwohl sie das Ganze überhaupt nicht amüsant fand. „Komm schon, Ian, sogar du müsstest die Lücken in deiner Geschichte erkennen.“
Ihr spöttischer Ton schien ihn nicht zu kümmern. „Er wäre ein Idiot gewesen, eine Straftat zu gestehen, solange er noch ein freier Mann war. Aber jetzt, da er im Todestrakt sitzt und alle Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, hat er nichts mehr zu verlieren, wenn er die Wahrheit sagt.“
„Und er hat eine Menge zu gewinnen, wenn er eine Geschichte erfindet.“
„Was sollte er dabei gewinnen?“
„Geld, Ian.“ Sie hielt die Tür des Geländewagens auf und wandte sich erneut zu ihm, damit er sie hörte; vor allem wollte sie ihm auch zeigen, dass sie keine Angst hatte. „Häftlinge brauchen Geld, nicht wahr? Um ihre Familien zu unterstützen und die Wärter zu bestechen, die ihnen das Leben dadurch vielleicht ein bisschen angenehmer machen. Wie viel hat es dich gekostet, diesen Earl Kramer zu einer Lüge zu überreden?“
Ian gab sich überzeugend schockiert. „Du verstehst das völlig falsch, Schwesterchen. Earl hat nach mir geschickt. Er wusste, dass ich rauskomme, deshalb hielt er die Zeit für reif, reinen Tisch mit mir zu machen.“
„Woher dieser plötzliche Drang zur Wahrheit?“
„Earl ist religiös geworden. Er hat wieder zum christlichen Glauben zurückgefunden.“ Ian zuckte die Achseln. „Das nützt ihm jetzt zwar nichts mehr, aber es ist ihm egal. Er will mit reiner Seele vor seinen Schöpfer treten.“
„Und er hat dich ausgewählt, ihm dabei zu helfen?“
„Ja, richtig.“
Langsam schüttelte sie den Kopf.
Weitere Kostenlose Bücher